Frau Gertrud Haug-Gibson war eine freundliche, zurückgezogen lebende Frau. Bekannt geworden ist sie uns durch ihre Erzählungen, in denen sie sich an ihre Kindheit erinnerte. In zwei kleinen Bänden waren sie zusammengetragen. Manche von ihnen haben wir veröffentlicht. Sie war in dem kleinen Dorf Falkenort im nördlichen Ostpreußen zu Hause, das infolge der Kriegsereignisse zu Russland kam. Die deutsche Bevölkerung flüchtete oder wurde vertrieben, so auch Gertrud Haugs Familie. Sie liebte ihre alte Heimat sehr. Als es nach der Wende möglich war, kehrte sie mit ihrem Mann für einen Besuch an die Orte ihrer Kindheit zurück. Doch kein Stein war übrig geblieben von ihrem Dorf. Nur ein alter Busch zeugte von der Stelle, wo einmal der Dorfweiher gewesen war. Selbst den Hügel, über dessen Kuppe hinweg man früher den Kirchturm des Nachbarortes hatte sehen können, hatten die Russen abgetragen und eingeebnet. Militärisches Übungsgelände war aus dem Gebiet geworden. Frau Haug wusste: „Hierher komme ich nicht mehr zurück.“ Mit ihrem Mann Otto Haug, der aus Aidlingen stammte, verband sie eine große Liebe. Er sei ihre neue Heimat geworden, sagte sie. Seinen Tod vor wenigen Jahren hat sie nur schwer verwunden. Anfang des Jahres ist Gertrud Haug ihrem Mann nachgefolgt. Wir werden noch oft an sie denken; denn immer wieder einmal werden wir in ihren Geschichten blättern. In unserem heutigen Beitrag freut sie sich am Frühling, der mit aller Pracht Einzug gehalten hat.
S. Kr.
Von duftendem Flieder, Birken und Pfingstrosen – Erinnerungen an fröhliche Pfingstfeste in der Heimat
Mein Elternhaus war umrahmt von einer großen Fliederhecke. Besonders um die Pfingstzeit war alles immer ein Blühen und Duften, von dem ich nie genug bekam. Es genügte mir nicht, dass ich mein Näschen fortwährend in die weißen und lila Blütendolden steckte und große Sträuße davon in die Wohnung holte – nein, sogar abends im Bett nahm ich manchmal einen blühenden Zweig „zum Einschlafen“ in den Arm. Dass man von stark duftenden Blumen Kopfschmerzen bekommen sollte, war mir fremd. Zwischen diesen hohen Fliederbüschen hatte ich mir ein eigenes Plätzchen eingerichtet, eine richtige Laube, in der ich entweder spielte oder meine Schulaufgaben machte, und in die ich mich flüchten konnte, wenn mein kindliches Herz voller Kummer war; dort sah mich niemand, wenn ich mich ausweinte.
Schon immer war der Flieder meine Lieblingsblüte – vielleicht war das auch der Grund, dass das Pfingstfest mein liebstes Fest war. Das war ein Grünen und Sprießen, ein Wetteifern all der Büsche, Bäume und Blumen um die schönsten Farben und Blüten. Zu prachtvollen Blütenköpfen entwickelten sich die Pfingstrosen und ihr Duft vermischte sich mit dem des Flieders. Das schlichte, zarte Birkengrün aber spielte die Hauptrolle zum Pfingstfest.
Am Sonnabend vor dem Fest zogen die Männer mit Leitern und Sägen los, um von den Birken, welche die Straße säumten, die unteren Zweige abzusägen. Voller Eifer half ich meinem Vater, die vielen Äste heim zu schleppen. Dann wurde das ganze Haus geschmückt. Draußen vor der Tür wurden zwei besonders große Zweige aufgestellt. Wenn man durch die Tür schritt, hatte man das Gefühl, als ginge man durch einen grünen Wald, denn auch im Hausflur standen und hingen überall Zweige. Dieser Schmuck wurde in der ganzen Wohnung fortgesetzt, und frischer Birkenduft durchzog das Haus. Über meinem Bett hingen natürlich auch ein paar Zweige.
Draußen hatte mein Vater selbst das Scheunentor, die Stall- und Schauertür mit Birkenzweigen dekoriert. Es war halt ein Brauch, eine Sitte, und es gehörte für uns zum Pfingstfest – so wie die Sonne zum Himmel.
Zu Pfingsten hatten wir auch meistens schönes Wetter, und wir Kinder bekamen zum Fest jedes Jahr ein neues Kleid, manchmal auch ein Paar Sandaletten. Diese Sachen durften wir am ersten Feiertag anziehen, wenn wir zur Kirche gingen. Schon früh morgens schlüpften wir an so einem Pfingsttag aus den Betten, streiften die neuen Kleider über – die Schuhe hatte Vater blank geputzt -, und dann führte mich mein erster Gang hinaus auf Nachbars Wiese. Dort hatte ich eine Stelle entdeckt, wo Veilchen blühten, und so ein Sträußchen brachte ich immer meiner Mutter.
Puh, wie war das Gras diesmal noch nass vom Tau! Ich setzte – vorsichtig wie ein Storch – einen Fuß vor den anderen, um an die kleinen Blümchen zu gelangen. Da ich jedoch offene Sandaletten trug, wurden meine neuen weißen Kniestrümpfe nicht nur nass, sondern prangten auch in herrlichstem Grün. Trotzdem gab ich mein Vorhaben nicht auf – ich pflückte ein Sträußchen und lief dann rasch nach Hause, froh, dem nassen Element entronnen zu sein.
Oft hatte sich zu den Festtagen auch Besuch angemeldet, und die Erwartung war jedes Mal groß. Da wurde schon Tage vorher das ganze Haus auf den Kopf gestellt. Es wurde nicht nur geputzt, auch Kuchen wurde gebacken und das Essen vorbereitet.
Birken, Flieder, Bauernrosen, neue Kleider und Besuch zum Pfingstfest – das alles ist in meiner Erinnerung sehr eng mit diesem Frühlingsfest verbunden.“
Siegrid Krülle