Weihnachten 1946: Weckglas, Zwiebeln und drei Kerzen
Nach der Flucht im März 1945 und mehrmonatigem Aufenthalt in Österreich landete unsere Mutter mit uns drei kleinen Kindern und unserer Oma schließlich in Dinkelscherben bei Augsburg in Bayern. 1946 wurden uns zwei kleine Zimmer in einem uralten Haus zugewiesen, das sich am Ende des Dorfes befand und uns trotz aller Enge und Ärmlichkeit frohe Kinderjahre bescherte. Wir durften zwar den Garten nicht betreten, aber uns Kindern gehörte alles darum herum – Wiesen und Felder, der „Berg“ mit seinen alten Bäumen, der Wald dahinter, im Winter eine autofreie Schlittenbahn vom „Berg“ bis in die Mitte des Dorfes hinunter.
An den Abenden waren wir Kinder im Wohnzimmer um unsere Mutter und unsere Oma versammelt. Sie strickten und wir hörten zu, wenn sie sangen und Geschichten von zu Hause erzählten. Unsere Oma kannte nicht nur die Kaisergeschichte, sondern auch die Familien- und Hofgeschichten aus unserem Heimatdorf bis ins letzte Glied. Im Kachelofen summte der Wassertopf und wurden im Winter die Ziegelsteine für unsere Betten gewärmt. Im winzigen Schlafzimmer hatten gerade ein schmaler Schrank und zwei Betten Platz, in denen wir Kinder
und unsere Mutter schliefen. Zu kalten Winterszeiten waren die Wände auch innen mit Eis bedeckt und das Fenster von zauberhaften Eisblumen überzogen, die wir jeden Tag bestaunten.
Als Weihnachten 1946 nahte, hatten wir Kinder schon einige Freundschaften mit Leuten aus dem Ort. geschlossen. Und so gelang es uns wundersamerweise, in den Besitz von einem Weckglas ohne Deckel, drei Zwiebeln und drei Kerzen zu gelangen, die ich wegen ihrer besonderen, nie gekannten Farben bis heute deutlich vor mir sehe: Eine war orange, eine mattgrün, die andere gelblich. Wir Kinder haben alle diese kostbaren Dinge unserer Mutter voller unglaublichem Stolz unter den kleinen Weihnachtsbaum gelegt, der auf dem im Zimmer verbliebenen Schreibtisch der Vermieterin gerade noch einen Platz gefunden hatte.
Mit den Kerzen schmückten wir dann den Baum, es waren die einzigen, die wir hatten. Nie wären wir auf die Idee gekommen, dass diesem Baum irgendetwas an Glanz fehlte. Wir fühlten uns reich wie Könige.
In den nachfolgenden Jahren haben wir uns so manches Weihnachts- und
Geburtstagsgeschenk für unsere Mutter ausgedacht und dafür jeden Pfennig gespart. Nichts hat aber uns selber je mehr beglückt als dieses erste Geschenk, das deckellose Weckglas mit Zwiebeln und den zauberhaften drei bunten Kerzen.