Das Geheimnis der Badstraße – eine Badstube

Die heutige „Badstraße“ in Aidlingen war bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts praktisch ein Feldweg und nur im Bereich nahe der Ortsmitte bebaut. Man wohnte seinerzeit auch nicht in der „Badstraße“, sondern schlicht „im Bad“. Woher diese Bezeichnungen stammten, konnten sich auch befragte Alteingesessene nicht erklären – die Nutzung war in diesem Abschnitt nicht wesentlich anders als an sonstigen Stellen des „Bachs“.

Ein entscheidender Hinweis war Frau Gertrud Breitling, geb. Schick, zu verdanken. Ihr Elternhaus hatte sich auf dem Grundstück „im Bad Nr. 15“, dann Badstraße Nr. 15, befunden, und sie erinnerte sich an Andeutungen in ihrer Kinderzeit, hier im Hause sei einmal eine Badstube gewesen. Genaueres wusste sie nicht, auch die Ältesten aus dem Ort wie Frau Erika Oehler und ihr Schulkamerad Heinrich Stürner hatten davon nie etwas gehört. Licht in das Dunkel brachten die Beiträge von Janssen und Emberger in der Aidlinger „Ortsgeschichte“, wonach nachweislich seit 1461 in Aidlingen ein „Bader“ und damit eine Badstube existiert hat. Und schließlich bestätigten die Ortskarten von 1523, 1579, 1680 und 1742 die Angaben von Frau Breitling zur Vorgeschichte ihres Elternhauses und der Lage der Badstube. Ein an
der fraglichen Stelle am „Mühlbach“ gelegenes Bauwerk ist auf den Karten jeweils als „Badstube“ gekennzeichnet. Daneben ist ein eigener Brunnen für die Wasserversorgung eingetragen. „Ob dem Bad“ („ob“ = jenseits, oberhalb) und „beim Bad“ sind die Bezeichnungen für die sich östlich anschließenden Flurteile nördlich und südlich des „Mühlbachs“ und des „Altbachs“, in die sich die Aid hier bis hin zur Brettermühle teilt. In dem beigefügten Straßen- und Wegeverzeichnis ist durchgehend der Name „bei der Badstube“ aufgeführt. Laut Janssen hat es zunächst bis zur Verlegung im Jahr 1523 eine Vorgängerbadstube am anderen Ortsende unterhalb der Oberen Mühle gegeben, an der Stelle der Aid also, wo sich die Jugend noch bis in letzte Jahrhundert beim Baden vergnügte. All diesen Eintragungen ist zu entnehmen, dass die gemeindliche Badstube für den Ort eine
wesentliche Rolle spielte.

Für Deufringen gibt es ähnliche Nachweise für den Betrieb einer Badstube mindestens für die Zeit bis zum 30jährigen Krieg. Auf den oben genannten Karten ist noch 1747 eine Badstube auf der Rückseite des gegenüber der Kirche stehenden Schul- und Rathauses verzeichnet. Badstuben und Badehäuser entstanden hierzulande erst im späteren Mittelalter. Ihre Einrichtung lässt sich auf die Erfahrungen der Kreuzritter mit den fremden Badeanlagen des Orients zurückführen, die der Körperreinigung, teils auch rituellen Zwecken, aber auch dem
Vergnügen dienten. Es gab die Badstuben und Badehäuser in den Städten, aber auch in größeren Orten im ländlichen Bereich, in der hiesigen Umgebung z. B. in Herrenberg, in Sindelfingen, Böblingen, in Dagersheim. Sie waren an bestimmten Tagen geöffnet, bei uns – aber nicht überall – getrennt nach Geschlechtern. Ein „Bader“ mit seinen Gehilfen hatte sich um die Vorrichtungen für das Kalt-, Warm- und Schwitzbad zu kümmern. Sie mussten sich vor allem auf das „Reiben“ verstehen, Schmutz und den Schweiß nach der Sitzung auf der Schwitzbank abreiben. Ein Bader musste das „Scheren“, das „Schröpfen“ und andere kleinere
medizinische Dienste wie das Behandeln von Wunden, Brüchen und schmerzenden Zähnen beherrschen. Die Badstuben und -häuser waren zugleich Orte der Geselligkeit; manchen Badhäusern, insbesondere in den größeren Städten, trug dies einen schlechten Ruf ein. Wegen der Verbreitung von den Badestuben zugeschriebenen Krankheiten ging der Badebetrieb später vielfach zurück. In unserer Region spielte vor allem der 30jährige Krieg mit seinen Folgen eine Rolle. In einer Beruflichen Auflistung der Aidlinger Bürgerschaft von 1775 ist die Berufsbezeichnung Bader nicht mehr enthalten. Stattdessen tauchen die
Berufsbezeichnungen Barbierer, Scherer und 1840 auch Wundarzt auf, sie decken
Teilbereiche der früheren Badertätigkeit ab. Die Karte von 1830 weist für Aidlingen anstelle der „Badstube“ eine Neubebauung auf, die bis gegen Ende des letzten Jahrhunderts Bestand hatte und auch das spätere Elternhaus von Frau Breitling umfasste. 1836 wurde in Deufringen mit dem Schul- und Rathaus auch die Badstube abgerissen.

Unter dem Einfluss der Aufklärung verbreiteten sich im 19. Jahrhundert neue Ansichten. zu Medizin, Hygenie und Bewegung. Jetzt dachte man an das Baden im Freien, an Wildbäder und Flussbäder mit Badehäuschen, an das Schwimmen zur körperlichen Ertüchtigung. Auch die körperliche Reinigung bekam einen neuen Stellenwert.

von Siegrid Krülle