Jahrhunderte waren das Trink- und saubere Waschwasser Mangelware. Man musste sich das Wasser aus einem der Brunnen holen – immerhin waren das in Aidlingen über 20. Da es keine Wasserleitungen gab, blieben ein Wannenbad und selbst eine gründliche Wäsche für das einfache Volk ein Luxus. Die Forderung, jedem auch unbemittelten Bürger solle einmal pro Woche ein gesundheits- förderndes Reinigungsbad gewährt werden, wurde gegen 1900 immer
lauter. In den Städten wurden sog. Volksbäder eröffnet. Dusch- und Wannenbäder wurden aber auch in bescheidener Form geplant, privat und öffentlich.
1910 hatte Aidlingen ein geschlossenes Wasserleitungsnetz eingerichtet. Die anderen Teilorte folgten. Seither war die Wasserversorgung der Bevölkerung gesichert, war man nicht mehr auf die Brunnen angewiesen und gab es nach und nach in allen Häusern fließendes Wasser.
Nicht überall waren aber die Einrichtungen und der Platz für eine Badewanne vorhanden – von einem „Bad“ als eigenem Raum, wie wir ihn heute kennen, ganz zu schweigen. Praktisch war eine eigene Waschküche, da sie beheizt und warm war und neben dem Wasserkessel meist auch den Platz für eine große Zinkbadewanne bot. Die war im Gegensatz zum traditionellen Holzzuber körperlang, schmal im Bein- und breiter im Oberkörperbereich und mit einem halbrunden Kopfteil ausgestattet. Nach den Erfahrungen des früheren Deufringer
Ortsvorstehers Seeger gab es aber auch sparsame Schwabenbauern, die am hölzernen Zuber mit der Begründung festhielten, dass darin das Wasser nicht so schnell auskühle. Und dieser Zuber hatte dann auch am Samstagnachmittag in der Küche Platz. Andererseits hatte, wer in den 20/30er Jahren einen Neubau plante, nun meist auch einen eigenen Baderaum mit fester Einrichtung im Sinn. Dazu gehörte damals die emaillierte Gusseisenbadewanne auf Füßen – so bei den Eltern von Frau Johanna Renz in Deufringen, wo die Gusseisenwanne am Ende ihrer Tage noch als Entenbad im Garten fungierte. 1939 war Gusseisen kriegsbedingt schon
wieder nicht mehr zu haben, wie Herrn Helmut Beutlers Eltern erfahren mussten. Der als Bad vorgesehene und freigehaltene Raum wurde nach Kriegsende der Wohnraum einer dreiköpfigen Flüchtlingsfamilie.
1913 übernahm Gotthilf Schneider das stattliche Gebäude der Maschinen-werkstätte Hahn, am Beginn der Badgasse gelegen (Nr. 4), und etablierte dort neben einer Kohlenhandlung, einer Sägerei und einer Mosterei eine kleine Badeanstalt für Wannenbäder. In einigen Räumen mit je einer Badewanne konnte jedermann gegen ein Entgelt baden. Wie sich Heinrich Stürner und Erika Oehler erinnerten, wohnten außerdem im Obergeschoss die aus Lehenweiler
stammende Krankenschwester Ernestine Groß und die Kinderschwester Anna, Generationen von Aidlingern aus der „Kinderschul“ bekannt. Nach dem Krieg konnte man ein solches Wannenbad auch hinter der „Traube“ bei Herrn Reichert (früher Stürner) bestellen.
Die Gemeinde nutzte nach dem Krieg den Neubau der Buchhaldenschule, um dem durch den Zuzug der Flüchtlinge verstärkten Problem abzuhelfen. Die engen Wohnverhältnisse beeinträchtigten zusätzlich die ohnehin mangelhafte Hygiene- und Sanitärversorgung. In der neuen Schule wurden im Untergeschoss Bademöglichkeiten eingerichtet und öffentlich wieder gegen ein Entgelt angeboten. Ein Raum war dafür vorgesehen und in drei Kabinen mit je einer Badewanne unterteilt. Frau Charlotte Knötig, die in der Schule seit 1954 an der Seite ihres Mannes als Hausmeisterin fungierte, war nicht nur jahrelang eine beliebte Anlaufstelle für die Schüler mit ihren vielerlei Kümmernissen, sie betreute auch die Badegäste. Badetag war der Samstag, es kamen Alt- wie Neubürger, man meldete sich in der Regel an, brachte Handtuch und Seife mit, erhielt eine Eintrittskarte und wartete, bis eine Badewanne frei war.
Wer Handtuch und Seife vergessen hatte, konnte sich von Frau Knötig aushelfen lassen. Zu ihrem besonderen Angebot gehörte ein Fichtennadelzusatz flüssig oder in Tablettenform, das war damals schon ein Luxus. Die Badewanne nebst Kabine wurde nach jeder Benutzung von Frau Knötig für den nächsten gereinigt und desinfiziert. Frau Ute Schestag, eine Tochter, hat dies alles in bester Erinnerung.
In Deufringen gab es die Möglichkeit, gegen ein Entgelt ein Wannenbad zu nehmen, schon vor und bis nach dem Krieg bei der damaligen Bäckerei Gampper. Die hatte zweierlei im Haus, ein (auch selbstgenutztes) Bad und für den Betrieb den ganzen Tag warmes Wasser. So ergab sich das Angebot fast von selbst – ein Wannenbad für jedermann nach vorheriger Anmeldung für 50 Pfennig pro Person. Frau Paula Mistele aus Deufringen, heute 94, zählt zu denen, die es ausprobiert haben.
In den sechziger Jahren wurden die öffentlichen Badeeinrichtungen in Aidlingen wie Deufringen eingestellt. Eine eigene Wohnung oder ein Haus rückten in Reichweite. Mehr und mehr Menschen konnten sich den Traum vom eigenen Bad und der eigenen Badewanne erfüllen. So lautet auch das Resümee von Frau Mistele: „Ohne mein Bad könnte ich mir mein Leben heute nicht mehr vorstellen.“
von Siegrid Krülle