Winterfreuden auf dem Rodelschlitten

Frau Gertrud Haug-Gibson aus Aidlingen, die viele Geschichten aus ihrer Kinderzeit selbst aufgeschrieben hat, erzählt von den Winterfreuden auf Holzschlorren und Rodelschlitten.
Erinnerungen an unvergessliche Wintertage bei Frost- und Sturmwetter in der alten ostpreußischen Heimat

alter Kinderschlitten

alter Kinderschlitten

Schon im Dezember gab’s bei uns zu Haus knackigen Frost. Die Bauern hatten sich abgesprochen, wer an der Reihe war, die Straßen „abzuschleppen“, wenn Forstwetter in Sicht war. Das bedeutete: der aufgewühlte Schmutz – wir sagten „Modder“ – wurde mit einer Schleppe aus Bretterholz, die zusätzlich beschwert und von einem Pferd gezogen wurde, glattgewalzt. Oft nahm mein Vater mich damals als zusätzliches „Gewicht“ mit. So konnte man, wenn der Morast gefroren war, besser auf den Straßen fahren und gehen, ohne gleich einen Achsen- oder Fußbruch zu riskieren.
Der starke Frost ließ alles erstarren. Teiche, Seen und Gräben froren zu. Wir Kinder liefen täglich zum Graben oder zum Bruch, der sich gleich hinter unserem Haus befand, um zu probieren, ob das Eis uns schon tragen würde. Wir waren immer recht vorsichtig mit dem Stampfen und Klopfen auf dem Eis – wir warteten lieber Vaters Urteil ab. Wenn er dann eines Morgens sagte: Heute könnt ihr aufs Eis“- dann aber nichts wie hinaus! Hei, da ging das Schlorren los. Auf Holzschlorren oder Klumpen ging’s am besten. Es wurde vom Land aus ein weiter Anlauf genommen und so wie das Eis einsetzte, fing man an zu rutschen. Weit trugen einen die hölzernen Pantoffel aufs Eis hinaus. Auch der Rodelschlitten wurde nun eingesetzt. Solange noch kein Schnee lag, musste man den Schlitten halt über die hartgefrorene Erde ziehen, aber war man erst auf dem Eis, fasste man den Schlitten hinten mit beiden Händen an, lief ein Stück um das Gefährt in Schwung zu bringen, und legte oder kniete sich dann drauf – schon sauste der Schlitten mit einem ab!

Schöner war es natürlich, wenn einer den anderen mit dem Schlitten über das Eis zog. Aber da nicht immer ein Kamerad zur Hand war, erfanden wir den Eispickel. Mein Vater fertigte aus zwei Stöcken in besenstielstärke, an einem Ende mit einem kräftigen Nagel versehen, dessen Kopf abgekniffen wurde, diese Pickel an. Man setzte sich auf den Schlitten, nahm jeweils in eine Hand diese Stöcke und konnte sich nun gut damit vorwärts bewegen – das war ein toller Spaß! Mein Vater dachte sich immer wieder neue Spiele und Vergnügungen für uns Kinder aus. Ein Krengel (Karussell) wurde auf dem Eis aufgebaut. Dazu wurde ein Pfahl ins Eis getrieben, der über Nacht richtig einfrieren musste. Auf dem Pfahl befand sich eine Eisenspitze. In eine lange Stange wurde ein Loch gebohrt und diese dann auf die Eisenspitze gesetzt. Am unteren dünnen Ende der Stange wurde der Rodelschlitten festgebunden, und nun ging es immer im Wechsel: ein Teil der Kinder konnte sich auf den Schlitten setzen, der andere Teil musste die Stange im Kreis herumdrehen. Da es in unserem Dorf (Falkenort, früher Sakalehnen, Kreis Tilsit-Ragnit) neun Kinder gab, war meistens auch immer jemand für die Krengel da. Allerdings wollten die Jungen meist nicht gern mit uns Mädchen spielen; sie waren viel lieber für sich und liefen Schlittschuh.

Gleich hinter unserem Haus war ein großer Bruch. War der Wasserspiegel im Herbst durch Regenfälle angestiegen, so ergab das im Winter eine riesige Eisfläche. Ein Teil war allerdings mit Schilf und Kalmus bewachsen, die größere Fläche aber war frei und spiegelblank. Oft kam die Jugend auch aus den umliegenden Dörfern zu uns, um zu tollen.
Wenn ein rechter Wind blies, band mein Vater sowohl an den großen Schlitten als auch an unsere kleinen Rodelschlitten ein Segel aus Sackleinen an, um so ein Eissegeln zu veranstalten.
Fiel dann endlich der Schnee, so war das für uns Kinder eine besondere Freude. Man konnte sich nun nach Herzenslust im Schnee tummeln. Wenn mein Vater oder die Nachbarn aus dem Dorf mit ihren Pferdeschlitten fortfuhren, hängten wir unsere Rodelschlitten hinten dran, setzten uns drauf und ließen uns ein Stück mitziehen. Dabei kam es nicht selten vor, dass unser Schlitten auch einmal umkippte, wenn er in eine tiefere Spur geriet. Das gab dann jedes Mal ein großes Hallo und Gelächter, wenn wir durch die Gegend purzelten!
Unvergessliche Wintertage – wer mag sie missen?

Anmerkung: Nord-Ostpreußen, die Heimat von Frau Haug-Gibson, kam als Folge des 2. Weltkriegs zu Russland. Frau Haug-Gibsons Heimatort wurde dem Erdboden gleichgemacht und auch die Umgebung sehr verändert. Nur ein Weidenbusch erinnert noch an die vergangene Zeit. Er steht immer noch an der Stelle, wo sich früher der „Bruch“ befand und die Kinder auf dem winterlichen Eis so viele Freuden erlebten.

von Siegrid Krülle