Vor 70 Jahren – Flucht und Vertreibung der Deutschen am Ende des Zweiten Weltkrieges Teil XII

Unsere Vertreibung aus Ungarn

Wie die Volksdeutschen in den anderen ost- und südosteuropäischen Ländern waren auch die Deutschen in Ungarn von Flucht und Vertreibung betroffen. Unter „Ungarndeutschen“ versteht man die deutsche Volksgruppe, die in Ungarn in den Grenzen des Friedensvertrages von 1920 beheimatet war. Bei der letzten vor der Vertreibung durchgeführten Volkszählung im Jahr 1941 bezeichneten 477.000 Menschen Deutsch als ihre Muttersprache, das waren rd. 5 % der Bevölkerung, 303.000 bekannten sich zur deutschen Nationalität. Die Minderheiten in Ungarn standen unter Magyarisierungsdruck. Die meisten Deutschen lebten in vier locker zusammenhängenden Siedlungsgebieten, rd. 2/3 im Gebiet Budapest, Ofener Bergland, Bahony und in der sog. Schwäbischen Türkei (Komitat Baranya, Tolna, Somogy), das andere Drittel etwa je zur Hälfte im Westen nahe der österreichischen Grenze bzw. im Osten zwischen Donau und Theiß, der Batschka und dem kleinen Ungarn nach dem Ersten Weltkrieg verbliebenen Teil des Banat.  

Zurück nach Ungarn – ein Bericht von Frau Hildegard Szomolay aus Aidlingen

Auch ich hatte wie manche ein besonderes Schicksal! Meine Geschichte ist allerdings etwas kompliziert. Ich wurde mit meinen Eltern im April 1946 aus Ungarn nach Deutschland vertrieben. Ich war damals 10 Jahre alt. Unser Heimatort ist Zanegg (ung. Mosonszolnok), in der Nähe von Gyor in westlichen Ungarn gelegen, 10 km von der österreichischen Grenze entfernt. Wir wurden in Viehwagen aus dem Ort transportiert, es wurden vier Transporte mit den Deutschen aus der Umgebung zusammengestellt. Nur etwa 10 % der deutschen Bevölkerung durften bleiben, das waren vor allem die Deutschen, die in Mischehen lebten.

Wir kamen nach Aidlingen, wo wir nur ein Zimmer hatten. Da aber mein Vater vom Krieg her an einer ansteckenden Krankheit litt – er hatte Tuberkulose, wollte man mich auf Anweisung des Amtsarztes von Böblingen in ein Heim stecken. Das wollte meine Mutter keineswegs. Schwarz brachte sie mich daher 1947 über die Grenzen zurück nach Ungarn. Meine alten Großeltern und meine Tante hatten daheim bleiben dürfen. Die Tante, zu der mich meine Mutter brachte und bei der ich es sehr schön hatte, war nämlich mit einem Ungarn verheiratet. Bei ihr und den Großeltern beließ sie mich in der Hoffnung, dass auch sie und mein Vater bald wieder zurückkehren könnten.

Doch die Grenzen wurden total abgeriegelt mit Stacheldraht und Wachtürmen. Die Ausreise hatte man mir verweigert. So besuchte ich nach deutscher Schulzeit die ungarische Schule, auch die ungarische Handelsschule. Deutsch durfte man in der damaligen Zeit nicht sprechen. Mein Opa, von Beruf Flaschner, konnte kein Ungarisch und meine Oma warnte ihn: „Du darfst mit niemand reden, sonst erschießen sie dich!“

Erst zur Zeit des Aufstandes in Ungarn im Jahre 1956 ergab sich die Möglichkeit, zu meiner Mutter zu kommen, mein Vater war schon 1953 gestorben. Die ungarische Grenze war einige Wochen unbewacht. Ende November 1956 kam ich nach Österreich. Mein späterer Mann kam auch mit. Als ungarische Flüchtlinge wurden wir nach Deutschland gebracht und im Lager Bocholt registriert. Nach drei Tagen durften wir zu meiner Mutter nach Aidlingen. Da war die Freude groß.

Ich habe meinen Mann in Ungarn kennen gelernt. 1957 heirateten wir hier in Aidlingen. Mein Mann ist in Pressburg in der Slowakei geboren. Nach dem Krieg wurde seine Familie wie die meisten damals in der Slowakei lebenden Ungarn nach Ungarn umgesiedelt. Die Slowakei hatte ja lange zu Ungarn gehört. Nachdem wir nach Deutschland gekommen waren und geheiratet hatten, bekam er die deutsche Staatsangehörigkeit. Er hat sich damals bei Daimler schnell und gut eingearbeitet.“

Siegrid Krülle