Vor 100 Jahren endete der Erste Weltkrieg – „Weiber, heulet net! In sechs Wochen sind wir wieder da“

Der siegesbewusste Ausruf stammte von Otto Walker aus Aidlingen. Der Erste Weltkrieg hatte am 1. 8. 1914 begonnen und die ersten Stellungsbefehle hatten am 2. 8. die Aidlinger erreicht. Am 3. 8. 1914 mussten die Reservisten Otto Walker und Friedrich Viesel als erste aus dem Ort einrücken. Sie wurden allseits gefeiert und von vielen begleitet im Leiterwagen zum Bahnhof in Ehningen gebracht. Beide kehrten nicht nach Hause zurück. Der Krieg dauerte länger als sechs Wochen, und niemand ahnte, wie schlimm er sein würde.

Am Ende des Krieges im November 1918 hatte Aidlingen 62, Lehenweiler 8, Dachtel 26 und Deufringen 34 Tote zu beklagen. Sie fielen an der Westfront in brutalen Grabenkämpfen in Belgien und Frankreich, andere an der Ostfront zwischen Baltikum und Schwarzem Meer, in Litauen, Polen, Georgien. Über die immensen Anstrengungen und Gefahren, die die Soldaten in den end- und weglosen Weiten Russlands, auf den Märschen durch Sümpfe, Steppen, Schnee und Eis durchlitten, über ihre Begegnung mit Menschen, die aus einer anderen Welt zu kommen schienen, ist viel weniger bekannt geworden als über den Stellungskrieg in den westlichen Nachbarländern. Der verheerende Einsatz von unbekannten modernen Waffensystemen, von Artilleriegeschossen, von Giftgas ist ein Grund für die hohen Todeszahlen auf beiden Seiten.

Allein an die 9 Millionen Soldaten dürften weltweit umgekommen sein. Eine große Zahl der zurückgekehrten Soldaten war verwundet und blieb zum Teil auf Dauer kriegsgeschädigt. Oftmals mussten sie um gesellschaftliche und finanzielle Anerkennung kämpfen. Frauen mussten ohne Männer, die Kinder ohne Väter, Eltern ohne ihre Söhne weiterleben.

Vier Söhne verlor die Familie Johann Georg Breitling aus Dachtel „Ich zünde das Rathaus an!“

In manchen Familien hat der Krieg besonders tiefe Wunden geschlagen, auch in unseren Dörfern. Der Maurer Johann Georg Breitling und seine Ehefrau Anna Katharina, geb. Gehring, aus Dachtel hatten drei Töchter und sechs Söhne. Die Söhne waren zwischen 1879 und 1896 geboren. Vier der Söhne verloren die Eltern durch den Krieg. Der zweit- und der drittälteste, Karl Friedrich und Ernst Martin, der 1914 geheiratet hatte, fielen gleich nach Kriegsbeginn, der fünftgeborene, Paul Gottlob, kam Ende 1914 in Russland um. Der 1879 geborene älteste Sohn Johann Jakob hatte schon einen kleinen Sohn, als er eingezogen wurde – er fiel 1916 bei Verdun. Der fünftgeborene Sohn, Gottlieb August, überlebte als Sanitäter in Mazedonien. Als 1917 oder 1918 noch der jüngste, der 1896 geborene Georg Paul, eingezogen werden sollte, leistete der Vater Widerstand. Er ging aufs Rathaus und drohte in seiner Verzweiflung, er werde das Rathaus anzünden, wenn auch noch der letzte Sohn geholt würde. Unterstützt vom Bürgermeister erreichte er die Rücknahme des Einberufungsbefehls.

Verhängnisvollerweise starb der Vater schon mit 63 Jahren am 2. 11. 1918. Es war ihm nicht vergönnt, das Kriegsende und 1919 die Hochzeit seines Sohnes Gottlieb August mit Maria Eisenhardt aus Dachtel mitzuerleben. Fünf Enkelkinder hätte er nach und nach in den Arm nehmen dürfen. Zwei davon leben noch. Ernst Breitling, Jahrgang 1922 und jetzt 96 Jahre alt, erinnert sich an die traurige Geschichte von den gefallenen vier Brüdern seines Vaters August. „Ich bin nach dem Bruder Ernst benannt worden“, sagt er nicht ohne Stolz. Der jüngste Sohn, Georg Paul, Bauer wie der Vater, heiratete 1925 und bekam zwei Kinder.

Quellen: Ortschronik Aidlingen, S. 639, 647; Landkreis Böblingen (Hrsg.), 1914-1918, Der Erste Weltkrieg –Menschen und Schicksale im Landkreis Böblingen, 2016, S. 38, 243 f.

Siegrid Krülle