Von der Laufmaschine zum E-Bike

Vor 200 Jahren begann die Geschichte des Fahrrads

Die Zeiten, als nach dem Krieg der wachsende Wohlstand und mit ihm der Autoboom das Fahrrad verdrängten, sind vorbei. Das Fahrrad erfreut sich heute wieder großer Beliebtheit. Ökologisches Bewusstsein, ein gut ausgebautes Fahrradwegenetz und technische Verbesserungen bis hin zum kleinen Elektrohilfsmotor haben dazu beigetragen, dass viele die Wege zu Schule und Arbeit, zu nahen und fernen Ausflugszielen bevorzugt mit dem Rad zurücklegen.

Wann wurde das Fahrrad aus der Taufe gehoben? Begonnen hat seine Geschichte vor ziemlich genau 200 Jahren. Man suchte nach einer Alternative zum Reitpferd, einem wichtigen Fortbewegungsmittel der damaligen Zeit. Durch Missernten waren die Preise für Pferdefutter sehr gestiegen. Der Karlsruher Erfinder Karl Drais präsentierte am 12. Juni 1817 seine hölzerne „Laufmaschine“, wie er sie selber nannte. Auf seiner ersten Fahrt von Mannheims Innenstadt in den heutigen Stadtteil Rheinau war er für die etwa 15 km lange Strecke eine reichliche Stunde unterwegs. Von unseren heutigen Fahrrädern unterschied sich das Laufrad von Drais vor allem dadurch, dass es keinen Antrieb hatte, keine Pedale und keine Kette. Man musste sich um voranzukommen, mit den Füßen vom Boden abstoßen. Die sich drehenden Räder erzeugten eine Kreiselwirkung, die dafür sorgte, dass das Rad nicht umfiel und stabil blieb. Die heutigen Kinderlaufräder sind dem damaligen Laufrad ähnlich. Das Entscheidende am Laufrad war, dass der Mensch sich erstmals aus eigener Kraft fortbewegen konnte, ohne die Hilfe von Tieren, auch ohne die Hilfe anderer Menschen.

Als die Preise für Pferdefutter wieder sanken, ging auch das Interesse am Laufrad zurück. Es wurde erst mit dem Beginn der Industrialisierung entscheidend weiter entwickelt. Leichte Stahlrohrrahmen statt eines hölzernen Gestells, Kettenantrieb mit Tretkurbel zwischen Vorder- und Hinterrad, 1887 schließlich die luftgefüllten Gummireifen führten dazu, dass sich die Drais’sche Erfindung durchsetzen konnte. Eine gewisse Rolle auf dem Weg vom Lauf- zum Tretrad spielte das Hochrad. Das war ein Fahrrad mit besonders großem Vorderrad, das eine Fahrgeschwindigkeit bis zu 40 km in der Stunde ermöglichte. Bis Ende des 19. Jahrhunderts standen die wesentlichen Elemente für das Fahrrad von heute fest. Die Bezeichnung „Fahrrad“ wurde vom Deutschen Fahrradverein 1885 eingeführt, in den allgemeinen Sprachgebrauch aber erst in den zwanziger Jahren übernommen.

Um 1900 konnte man mit dem Fahrrad noch seinen besonderen Status unterstreichen. So erzählte meine Großmutter, geb. 1890, wie es gewesen war, als sie das erste Mal ein Fahrrad sah. „Wir waren noch Schulkinder. Da fuhren drei oder vier Radfahrer in unserem kleinen schlesischen Dorf die Ortsstraße bergauf. Sie mussten teilweise die Räder schieben. Und wir Kinder sind neben und hinter ihnen hergelaufen. Noch mehr als die Fahrräder bestaunten wir die schönen, vornehmen Hosen, die die Frauen anhatten. Frauen in Hosen – das kannten wir nicht und war ganz unglaublich.“

In den zwanziger Jahren hatte das Fahrrad als erstes Individualverkehrsmittel nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa eine große Verbreitung gefunden. Urbanisierung und Industrialisierung führten dazu, dass viele Menschen längere Wege zu ihren Arbeitsstellen zurücklegen mussten, die sich erst mit dem Fahrrad bewältigen ließen. Aidlingen, wie alle Ortschaften der Umgebung, ist dafür ein gutes Beispiel. Die meisten Bewohner waren ursprünglich in der Landwirtschaft tätig, das 20. Jahrhundert brachte den Wandel. Ein Großteil suchte einen Arbeitsplatz in Gewerbe und Industrie, meist in Richtung der benachbarten Städte. Wo’s zu Fuß nimmer ging, war das Fahrrad von Nöten.

Es gab bei uns den ‚Fahrrad-Vetter‘, erzählt Heinrich Stürner, Jahrgang 1923. „Ernst Vetter hatte sein Geschäft und seine Werkstatt rechts am Ortsausgang Richtung Böblingen. Dort konnte man Räder kaufen. Und wir gingen auch hin, wenn wir einen Platten hatten oder sonst etwas zu reparieren war. Hauptsächlich arbeitete der Ernst Vetter jedoch im Sägewerk Keck in Ehningen, er konnte mit seiner Familie von dem Fahrradverkauf allein zunächst nicht leben.“ Willy Gerlach, Jahrgang 1927, fügt hinzu: „Erst als es mit den Autos losging, kamen auch eine Autowerkstatt und eine Tankstelle dazu. Um den Nachfolgebetrieb auf der gegenüberliegenden Straßenseite kümmerte sich dann der Sohn Heinz Vetter.“ Willy Gerlach erinnert sich an sein erstes Fahrrad. Ich bekam es zu meiner Konfirmation 1941 geschenkt. Gekauft hat man es natürlich beim Vetter. Ich habe im Anschluss an meine Schulzeit von 1941 bis 1943 meine Lehrzeit als Orthopädieschuhmacher in Stuttgart gemacht. Jeden Tag bin ich von Aidlingen nach Stuttgart und zurück mit dem Fahrrad gefahren. Nach Ende der Lehrzeit wurde ich kurz nach meinem 16. Geburtstag sofort in den Krieg eingezogen.“ Zu den vielen nach dem Krieg in Aidlingen zugezogenen Flüchtlingen zählte Johann Leher (1897-1984). Wie seine Tochter Anna berichtet, habe er sofort nach dem Einzug in die Furtmühle im Jahr 1946 im Steinbruch in Ehningen gearbeitet. Er sei ein Jahr zu Fuß hingegangen, obwohl er eine Verletzung hatte. Dann sah er ein beim Vetter ausgestelltes Fahrrad, das kaufte er und fuhr 16 Jahre damit in die Arbeit.“

Das Fahrrad spielte für den Aidlinger Bereich mit seinen vielen vor allem bei Daimler arbeitenden Bewohnern eine wichtige Rolle. Ein Radsportverein sorgte zusätzlich für ein gesellschaftliches Miteinander. So mancher gesundheitsbewusste Aidlinger lässt es sich bis heute nicht nehmen, für den Weg in die Nachbarstädte in die Pedale zu treten.

Quelle: Internet, Wikipedia u.a.

Siegrid Krülle