Spiel und Spaß in der Schulzeit der 20er Jahre – weitere Kostproben aus den Aufsatzheften des damaligen Lehenweiler Schülers Otto Gotthilf Groß

Ein neues Schuljahr hat begonnen. Neue Anstrengungen, aber auch neue Erlebnisse und neue Freuden warten auf die Schüler. Das war „damals“ grundsätzlich nicht anders als heute. Wie sich Schulkinder vor 90 Jahren vergnügten, insbesondere wenn sie in Lehenweiler zu Hause waren, ist in den Schulheften des Schülers „Otto Groß“ festgehalten. Er war im Januar 1914 geboren. Die folgenden Aufsätze schrieb er unter der Obhut der Lehrer Schuler und Walter zwischen November 1923 und November 1924, als er 9 bzw. 10 Jahre alt und Schüler der 4. bzw. 5. Klasse war.

Pfeil und Bogen

Gegenwärtig ist das Pfeilschießen unser tägliches Spiel. Der Bogen dazu wird aus einem Stecken, welchen man leicht biegen kann, gemacht. Der Pfeil wird aus dem Schilf hergestellt. Oben drückt man ein kleines Holunderpfröpfchen ein, dann wird er an den Bogen gelegt. Die Schnur wird angezogen und der Pfeil schwirrt hoch in die Luft. Nun wartet man, bis er wieder herabkommt. Nun wird noch einmal geschossen. Dann noch einmal und noch einmal. Aber, o weh! Diesmal bleibt er in der Dachrinne liegen. Traurig geht man dann heim und holt wieder einen Pfeil. (2.11.1923)

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Die Schnitzeljagd

Heute Morgen ist schönes Wetter. Friedlich liegen die vom Schnee bedeckten Fluren in der schönsten Ruhe. Darum durften wir Schüler eine Schnitzeljagd machen. K. und H. mussten streuen. Sie sprangen voraus, bis sie im Feld verschwanden. Dann ging es im Galopp hintendrein. Allein wir hatten ihre Spur bald verloren und standen ratlos da. Aber nur nicht ganz verzagt. Sie wurde bald wieder gefunden, und es ging fröhlich weiter. Wir kamen an schön verzuckerten Tännlein vorbei, welche uns zauberhaft anblickten, dass es uns davor graute. Doch nur weiter im Galopp und nicht gezaudert. Wir werden sie schon noch finden! Es stand auch nicht mehr lang an, so wurden sie hinter einer Hecke aufgefunden und wir gingen freudig heim. (21.11.1923)

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Mein liebstes Spiel

Mein liebstes Spiel ist das Gänsespiel. Mir gefällt es hauptsächlich wegen seiner schönen Figuren und den herrlichen Bildern, die darauf gezeichnet sind. Die mitspielenden Personen, welche würfeln müssen, sind beliebig. Der Betrügerische und Listige ist meistens mein Bruder Adolf, dieser verlangt, wenn er das Spiel auf unrechte Weise gewonnen hat, einen guten Preis und schiebt ihn dann mit einem schlauen Lächeln ein. Ich würde dieses Spiel immer machen, aber den andern entleidet es zuletzt. Doch wenn der Frühling wieder kommt und ich in Gottes freier Natur ein anderes Spiel machen kann, so ist es mir doch lieber. (5.3.1924)

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Eine Eisenbahnfahrt

Ich freute mich schon lange darauf, wieder einmal mit der blitzschnellen Eisenbahn zu fahren, welche uns in 1½ Stunden nach Stuttgart führt. Darum war meine Freude groß, als ich und meine Tante morgens um ¾ 7 Uhr auf den Bahnhof nach Schafhausen gingen. Gerade als wir das Billet gelöst hatten, brauste der Zug heran. Wir stiegen ein u. nach einem grellen Pfiff fuhr er ab. Ich stand am Fenster u. schaute in die morgenfrische, blühende Natur hinaus. Bäume, Hecken und Sträucher flogen an mir vorbei. Von Station zu Station ging’s. Viele Berge und Wälder sah ich. Auf einmal pfiff es, aber diesmal ganz schrill, denn es wurde finster u. des Zuges Stoßen u. Zischen vernahm man sehr deutlich. Minuten musste man harren, da entblößte sich der finstere Schleier und es wurde wieder hell. Als ich zurückschaute, erblickte ich das Tunnel. Jetzt waren wir bald in Stuttgart. Dort stiegen wir im Hauptbahnhof aus, und ich schaute das prächtige Gebäude an. (24.6.1924)

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Lustiges Leben in und an der Würm

Es ist ein heißer Sommertag. Brennend lässt die Sonne die Strahlen hernieder fallen, und es ist wahrlich eine köstliche Erquickung, sich in dem warmen Würmwasser zu baden. Wir haben uns darum einen geschickten Badeplatz herausgelesen, an welchem wir jederzeit das Wasser mit lustigen Sachen einweihen können. Wir malen uns Schlammfiguren auf die Brust wie die Indianer, dann liegen wir ins Wasser hinein und waschen es wieder ab. Jetzt ist die Sonne hinter einer Wolke und wir gehen heraus und warten, bis sie wieder kommt. Dann legen wir uns glatt auf die Wiese und machen ein kurzes Sonnenbad. Dann hüpfen wir wieder ins Wasser hinein und wollen unsere Schwimmkunst probieren, allein wir sinken immer. Wenn wir uns damit genug abgemüht haben, gehen wir an den andern Badeplatz, nehmen dort einen Pack Schilf, liegen fröhlich hinauf und schwimmen davon. So, jetzt haben wir genug gebadet, und wir gehen, nachdem wir uns angezogen haben, heim. (11.7.1924)

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Ein Morgenstreich im Solbad

Es war frühmorgens 6 Uhr. Fast noch in allen Zimmern der Bethesda, wie das Solbad genannt wird, herrschte feierliche Stille. Nur in unserem Schlafgemach Heidelberg ging es lustig her; wir schleppten gerade unsere Decken in eines der Betten. Dort begann erst der Spaß. Unten musste der Stärkste namens Erwin Müller liegen und seine Decke über sich ziehen. Dann lag ein zweiter auf die Decke des unteren. Und so beigten wir immer fort, ein Knabe und dann eine Decke. Dabei machten wir, das kann man sich ja denken, natürlich einen großen Radau. Da auf einmal tat sich die Tür auf, und herein trat Schwester Emilie mit den Pantoffeln und dem Bettkittel an. Doch ein Ruck des unteren, und wir lagen, fast den Atem anhaltend, mäuslesstill unter den Decken. Stumm blickte die Schwester herum. „Aber“, sagte sie, nach der andern Seite blickend, „wo sind denn die da hüben“, denn sie hatte nicht gesehen, dass wir in dem Bett beieinander lagen. Jetzt hatte wieder Erwin das Wort und sprach: „In meinem Bett liegen sie.“ Donnernd fuhr das alte Fräulein auf und rief zornrot: „Wollt ihr machen, dass ihr in eure Betten kommt.“ Blitzschnell nahmen wir unsere Decken und sprangen in unsere Fallen. Dort lagen wir leise kichernd, bis sie sich wieder entfernt hatte. (13.11.1924)

Siegrid Krülle