Ein Zipser Urgestein – Helene Walentin wird 95 – Teil 3

Helene Walentin erzählt weiter vom Leben in ihrer alten Zipser Heimat, in der heutigen Slowakei gelegen, die sie 1944 verlassen musste.

Schule und Kirche in unserem Bauschendorf

„Unsere Schule war einklassig. Es gab zwar 8 Klassen, insgesamt 45 Schulkinder, die aber alle gleichzeitig Unterricht hatten. Unser Lehrer hielt an den Sonntagen auch die Gottesdienste. Denn wir hatten in unserem Dorf keinen eigenen evangelischen Pfarrer. Unser Pfarrer lebte in einem Nachbarort. Er hielt alle paar Wochen den Gottesdienst und kam bei Taufen, Konfirmationen, Hochzeiten oder Beerdigungen. Der Pfarrer war für vier Dörfer zuständig. Eines davon, Richtung polnische Grenze gelegen, war übrigens ein Schwabendorf. Nicht Zipser Sachsen mit ihrer jahrhundertealten Geschichte lebten dort, sondern Schwaben, die erst vor etwa 150 Jahren angesiedelt worden waren.“

Bräuche und Feste im Lauf des Jahres

Die Festlichkeiten und Bräuche, die zum Leben in der Zips gehörten, waren meist vom Ablauf des Kirchenjahres bestimmt. Teilweise hatten sie aber wie auch so mancher Aberglaube uralte sonstige Wurzeln. Manche Erinnerungen von Frau Walentin tauchten schon in anderen Beiträgen des Heimatgeschichtsvereins auf, die sich mit altem Brauchtum befassten.

So erzählte sie, dass die jungen Burschen an Ostern die Mädchen „baden gingen“, nämlich mit Parfum oder Wasser bei den Mädchen vorbeigingen, sie besprengten und dann ins Haus hereingerufen und mit Schinken und Eiern bewirtet wurden. An Pfingsten stellten die Burschen dagegen nachts “Moibäume“ vor den Haustüren der Mädchen auf, auf die sie ein Auge geworfen hatten. Besonderen Spaß hätte Jung und Alt das jährliche große Fest zum Schuljahrsende im Juni gemacht, „Majales“ nannte man es, das war eine ungarische Bezeichnung. Theaterspiele und Tanz, aber auch Essen und Trinken gehörten dazu. Am 24. Juni war Johannisfest. Um 7 Uhr abends ging man zur Brücke, unter der das „Hegwasser“, ein Bach, von der Hohen Tatra herunterströmte. Beim Glockenläuten von der katholischen Kirche mussten die Mädchen die mitgebrachten Blumenkränze dreimal um den Kopf schwenken und dann ins Wasser werfen. Anschließend ging man im Dorf von Haus zu Haus und sang vor jedem Haus aus dem Gesangbuch das Lied „Nun lob mein Seel den Herren…“. Das geschenkte Geld wurde für den Johannistanz verwendet. Auch die unvergesslichen Sonnwendfeuer in der Tatra gehörten zum Johannisfest.

An Weihnachten und Sylvester haben die jungen Männer den Mädchen „Kroamerbeer“, einen Wacholderbeerenstrauch, auf den Hausdächern befestigt, „aufgeschlagen“ sagte man. Im Nachbarort Topportz seien es kleine geschmückte Christbäumchen gewesen. Im Winter kamen die jungen Leute regelmäßig in der Rockenstube zusammen. Die Männer hätten Karten gespielt, die Frauen gesponnen oder sonstige Handarbeiten gemacht, dazu erzählt und viel gesungen. Im Winter war auch das Theaterspielen sehr beliebt, die Aufführungen hätten unter Anleitung des Lehrers im Saal in ihrem Elternhaus, später im neuen Saal beim Konsum stattgefunden.

Tracht und Dialekt

Dialekt und Tracht waren Zeichen der Zusammengehörigkeit. Dazu erzählt Frau Walentin: „Zu unserem Brauchtum gehörte das Sprechen im Dialekt, den wir „Potoksch“ nannten. Bis heute spreche ich mit meinen Söhnen im Dialekt. Selbst Helmuts Sohn spricht mit seiner Frau die Frankfurterin ist, Potoksch, und deren Sohn kam aus Frankfurt zu mir und sagte: „Oma, itz kannst auch mit mir reidn, ich kann auch schon Potoksch.“ Der Dialekt stirbt allmählich aus. Woher die Bezeichnung kommt, ist uns nicht klar. Kürzlich habe ich Rheinländer gesprochen, die sprachen ganz ähnlich wie wir. Die Dialekte unterschieden sich von Dorf zu Dorf. Wenn der Anteil der slowakischen Bevölkerung größer war, konnte sich das auch auswirken. Z. B. verwendeten die Topportzer für Onkel und Tante die slowakischen Bezeichnungen.

Bauschendorfer Tracht. Die Frauen mit Röcken, Schürzen, weißen Blusen, Wichten, die zum Schnüren sind, – und den Hauben der verheirateten Frau. Die Bänder heißen „Flattern“. In der Mitte Frau Walentins Mutter, als älteste mit dunklerer Kleidung, umgeben von verwandten und befreundeten Paaren

 

Unsere alte Tracht sieht man am besten auf dem Foto. In manchen Dörfern war es auch zuletzt noch üblich, ständig die Tracht zu tragen. Maltern, o je. Wir in Bauschendorf waren moderner, es war bei uns ähnlich wie in der Stadt. Da kam die Tracht allmählich aus der Mode. Dazu trug auch bei, dass einige auswärtige Schulen besuchten. Verbreitet waren Dirndlkleider. Wir hatten schon Kleider mit Satin, Organdy, Georgette, Tüll, Abendkleider, die getragen wurden, wenn eine Abendveranstaltung war. Wir trugen Mäntel und Hüte. Mein Brautkleid hat eine Jüdin aus Pudlein genäht, es war aus Tüll und Georgette, das Unterkleid aus Lamée. Ich war sehr schlank, da wollte man mir trotzdem noch ein Korsett geben. Ich habe das Brautkleid und den Schleier noch, es ist schon ganz grau, die Enkelin Susanne hat oft darin getanzt. Ich möchte es am liebsten im Sarg anhaben. Über 70 Jahre ist das Kleid jetzt alt. Ich trug dazu hohe weiße Stöckelschuhe und bat meine Schwiegermutter: ‚Sag dem Pfarrer, ich kann nicht so lange stehen.‘

In der Heimatstube sind viele Sachen von meiner Schwiegermutter und mir, z.B. Klöppelspitzen, Trachten und Wäschestücke, teils auch mit Stickereien von mir. Wir hatten das Glück, dass wir die Sachen mitnehmen konnten. 70 kg waren erlaubt.

Hochzeit und Geburt

Hochzeiten wurden in der Regel von den Eltern arrangiert und von ihnen alles „zusammengekurbelt“, einschließlich der Mitgift. Es war ähnlich wie bei den Musliminnen, deshalb empfinde ich für die eine Sympathie. Wir waren sehr jung. Meine Schwester Jolanthe wurde schon mit 16 Jahren an Georg Glatz verheiratet, der ja mit seinen 31 für sie ein alter Mann war. Sie hatte gerade die Fachschule für Frauenberufe beendet. Die Ehe hat aber gehalten. Ich war bei meiner Hochzeit 18 und, wie schon gesagt, wir kannten uns kaum. Mein Mann war aus dem Nachbarort und kam an den Sonntagen immer zwei Stunden zu Besuch. Es war nicht wie heute, dass man schon vorher zusammenlebt. In unserem Dorf hatte ich niemand zum Heiraten, wir waren mit allen verwandt. Bei meinem Mann und mir war es aber so, dass wir uns auch mochten.

Wie meine Hochzeit war? Die Trauung war in Bauschendorf. Meine Mutter hat standesamtlich und kirchlich geheiratet, ich nicht, denn mein Vater war Bürgermeister. Es kamen viele Leute auch aus den umliegenden Dörfern zum Gucken. Es war eine große Hochzeit, aber nicht so groß wie bei meiner Schwester. Die Kirche war voll. Auf dem Weg zur Kirche marschierte an der Spitze des Hochzeitszuges die Musik, dahinter nicht etwa schon das Brautpaar. Das Paar, das gab es erst nach der Trauung. Ein Brautführer, bei uns mein Schwager, brachte die Braut in die Kirche. Sie musste ganz ernst sein, gerade schauen und durfte sich nicht umdrehen. Ich hatte den Blick auf den Boden gesenkt. Der Bräutigam wurde von einer weiblichen Verwandten begleitet -mein Mann von seiner Cousine – und traf mit der Braut am Altar zusammen.

Sowohl die Braut als auch der Bräutigam mussten bei ihren Eltern, ehe sie heirateten und das Haus verließen, ‚Abbitte‘ tun, d. h. sich bedanken für alles Bisherige und die guten Wünsche der Eltern für die Zukunft erbitten. Dabei sind in Strömen die Tränen geflossen; nicht bei mir, denn ich blieb ja zu Hause – na ja, ein paar Tränen sind schon gekommen. Ich habe für die Abbitte einen Text auswendig gesprochen, wie sie zu diesem Zweck weitergegeben wurden. Meiner stammte von meiner Schwester.

Das Essen am Hochzeitstag war vom Göckele und zwar im Saal in Topportz, die Schwiegereltern gaben die Wirte ab. Da sind alle hingefahren. Ich weiß nicht, was der Grund für folgenden Brauch war: Mein Mann und ich, wir haben bei meines Mannes Cousine gegessen – mit dem Pfarrer und der Pfarrerin, dem Lehrer und der Lehrerin. Das Essen in solch kleiner Runde war üblich; vielleicht ging es um die Stille. Vor dem Pfarrer und Lehrer haben wir ja eigentlich meist Angst gehabt. Es gab Bier, das ich nicht trinke. Anschließend sind wir nach Bauschendorf gefahren, wo unsere weitere Hochzeitsfeier stattfand.

In meinem Elternhaus waren im oberen Stockwerk der Saal, Großmutters und weitere freie Zimmer. Wir bekamen zwei Zimmer für uns. Mein Mann heiratete ja in unseren Hof ein. Übergeben wurde damals noch nicht, die Eltern waren selbst noch jung und ich war noch nicht reif dafür. Ich hätte Angst gehabt, die Arbeit als Bäuerin zu bewältigen, z. B. die vielen Brote, 20 pro Woche, zu backen. Ich trug eine Brille und war körperlich nicht stark im Gegensatz zu meinem Mann. Hier auf dem Hof der Eltern haben wir auch unsere erste gemeinsame Nacht verbracht. Ich wollte erst, wenn ich verheiratet bin, mit meinem Mann schlafen, früher nicht. Da war ich stur.

Sowohl die Braut als auch der Bräutigam mussten bei ihren Eltern, ehe sie heirateten und das Haus verließen, ‚Abbitte‘ tun, d. h. sich bedanken für alles Bisherige und die guten Wünsche der Eltern für die Zukunft erbitten. Dabei sind in Strömen die Tränen geflossen; nicht bei mir, denn ich blieb ja zu Hause – na ja, ein paar Tränen sind schon gekommen. Ich habe für die Abbitte einen Text auswendig gesprochen, wie sie zu diesem Zweck weitergegeben wurden. Meiner stammte von meiner Schwester.

Das Essen am Hochzeitstag war vom Göckele und zwar im Saal in Topportz, die Schwiegereltern gaben die Wirte ab. Da sind alle hingefahren. Ich weiß nicht, was der Grund für folgenden Brauch war: Mein Mann und ich, wir haben bei meines Mannes Cousine gegessen – mit dem Pfarrer und der Pfarrerin, dem Lehrer und der Lehrerin. Das Essen in solch kleiner Runde war üblich; vielleicht ging es um die Stille. Vor dem Pfarrer und Lehrer haben wir ja eigentlich meist Angst gehabt. Es gab Bier, das ich nicht trinke. Anschließend sind wir nach Bauschendorf gefahren, wo unsere weitere Hochzeitsfeier stattfand.

In meinem Elternhaus waren im oberen Stockwerk der Saal, Großmutters und weitere freie Zimmer. Wir bekamen zwei Zimmer für uns. Mein Mann heiratete ja in unseren Hof ein. Übergeben wurde damals noch nicht, die Eltern waren selbst noch jung und ich war noch nicht reif dafür. Ich hätte Angst gehabt, die Arbeit als Bäuerin zu bewältigen, z. B. die vielen Brote, 20 pro Woche, zu backen. Ich trug eine Brille und war körperlich nicht stark im Gegensatz zu meinem Mann. Hier auf dem Hof der Eltern haben wir auch unsere erste gemeinsame Nacht verbracht. Ich wollte erst, wenn ich verheiratet bin, mit meinem Mann schlafen, früher nicht. Da war ich stur.

 

Die heutige Zeit

Die vertriebenen Bauschendorfer in der Zerstreuung

Frau Walentin berichtet: „Seit der Vertreibung der Deutschen leben die Bauschendorfer heute zahlreich in Mecklenburg, wohin die Vertreibungstransporte vorwiegend kamen. Mehrere sind in den 50er Jahren in die USA ausgewandert wie z. B. meine Schwester. Wie ich schon erzählt habe, waren wir, die Walentins, dafür auch angemeldet, sind aber glücklicherweise zurückgetreten, weil wir 1956 von der Möglichkeit erfuhren, in Aidlingen zu bauen. Aus Bauschendorf wohnt hier in Aidlingen sonst niemand, jedoch eine Reihe von Topportzern. Dort war ja ursprünglich die Familie Kobialka her. So lebte hier bis vor einigen Jahren Frau Simonis, geb. Kobialka, die Dr. Kubin sehr unterstützt und die Heimatstube mit organisert hat. Die Familie Bobak war in Gärtringen. Die Eltern sind nach ihrem Tod eingeäschert und die Asche ist in Topportz beerdigt worden. Aus Topportz stammen z. B. auch die Familien Weiß Wilhelm, Weiß Reinhold und Frau Anna Zweigart, geb. Weiß, Frau Hertel, geb. Bobak, Frau Weber, geb. Hauff, Frau Erika Kunder, geb.Lauff, Lehenweiler.

 

Das frühere Bauschendorf zwischen Slowaken und Zigeunern

In vielen ehemals deutschen Dörfern in der alten Heimat sind heute Zigeuner angesiedelt, sie bilden dort regelrechte Gettos, so in Klein-Lomnitz. In Bauschendorf weniger. In manchen Orten sind noch einige Deutsche, so z. B. in Maltern. Elisabeth (‚Luischen‘) Wawrek, geb. Splitko, ist eine der wenigen Deutschen aus Bauschendorf, die geblieben sind.

Ich bin einmal wieder in Bauschendorf gewesen und zwar im August 1978 mit dem Bus. Ich habe bei unserer früheren Schneiderin geschlafen. Sie war eine Deutsche und mit einem deutschen Mann verheiratet, sie hatte bis kurz zuvor in meinem Elternhaus gewohnt und war dann in einen Nachbarort umgezogen. Frau Flesner hat uns zu meinem Elternhaus geführt, die Leute waren gerade mit Erntearbeiten beschäftigt. Wir haben uns vorgestellt, und auf die Frage, ob wir das Haus ansehen dürften, haben sie uns hereingelassen. Die Frage, ob ich slowakisch könne, habe ich verneint. Das stimmte nicht ganz, ein paar Wörter konnte ich. Der Chef der Arbeiter ging mit Frau Flesner und mir ins Haus hinein. Frau Flesner hat ihm gleich ein Päckchen Zigaretten zugesteckt. Man musste bei diesen Besuchen immer viel kaufen und schenken. Am liebsten hätte ich gleich wieder weggewollt. Vor lauter Aufregung und Angst habe ich das Haus kaum angeschaut, nur meine Tatra habe ich angeschaut. Angst hatte ich schon, weil der Kommunismus dort war. Auch hat mich einer der Männer erkannt, er rief im ungarischen Dialekt: ‚Das ist ja die Ilusch! ‘ Ich wurde meist nicht Helene, sondern Ilonka oder Ilusch gerufen. Ich habe den Mann aber nicht erkannt.

Ich bin seither nicht mehr in unserer Heimat gewesen. Ich wollte nicht. Es gibt aber bis heute einen guten Zusammenhalt mit den Slowaken und verbliebenen Deutschen. So hat Herr Oskar Marczy, der nach der Wende lange Bundesvorsitzender der Karpatendeutschen war, sich darum bemüht, dass deutsche Lehrer in die Heimat geschickt werden. Das ist in Ordnung.“

Sohn Reinhold Walentin, Polizeibeamter i. R., erzählt, dass er 1996/97, nach der Abspaltung der Slowakei von der Tschechei, mit seiner Familie einen Besuch in der Heimat gemacht habe. Es habe ihn wie ein Magnet zu seinen und den Wurzeln der Eltern gezogen. Er habe auch das Kastell gesehen, das Hofgut, aus dem die Mutter stammt. Er könne bestätigen, die Deutschen würden gern gesehen, sie hätten ja am Anfang auch sofort eine Menge geholfen, z. B. Kirchen renoviert, und Touristen seien wirtschaftlich wichtig. In vielen früher deutschen Dörfern lebten Zigeuner. Grundsätzlich hätten die Slowaken die Zigeuner konzentriert in einer nach dem Krieg von den Deutschen entvölkerten Ortschaft angesiedelt und in dieser Ortschaft auch die restlichen Slowaken ausgesiedelt. Für ihn und seine Familie sei es beängstigend gewesen, durch einen solchen zu einem Getto gewordenen Ort zu fahren.

Mein Leben in Aidlingen heute

Für Frau Walentin veränderte sich seit dem Tod ihres Mannes viel:

„1980 starb mein Mann mit 62. Mein Mann konnte alles und hat für mich immer viel erledigt. Er war geschickter als ich und praktisch veranlagt. Er konnte z. B. auch schneidern, nähen und spinnen. Er hat mir in vielem geholfen, bis zuletzt. Mein Vater starb sechs Wochen später, und die Schwiegermutter hatte Demenz. Es war eine schwere Zeit.

Die Schwiegereltern wohnten ursprünglich im Haus oben, der Vater unten im eigentlichen Wohnzimmer, er wollte kein Zimmer im Keller. Unten wohnt jetzt Sohn Reinhold mit Familie, ich wohne im Dachgeschoss in der ursprünglichen Wohnung der Schwiegereltern und freue mich an dem schönen Ausblick mit den vielen Lichtern am Abend. Es geht mir gut hier im Hause bei meinem Sohn und der Schwiegertochter. Auch mein Sohn Helmut ist in der Nähe.

Natürlich habe ich mich oftmals allein gefühlt. Alle waren berufstätig. Und von meiner Generation lebt kaum noch jemand, Besuche von Leuten aus unserer Heimat sind selten geworden. Ich habe manchmal mit meiner Cousine in Bayern und mit meiner Schwester in Amerika telefoniert, wir erinnerten uns gegenseitig an Ereignisse von früher und fragten einander, wie’s damals war. Mit meiner Schwester in Amerika habe ich mich immer sehr gut verstanden. Ich bin stolz, ein Zwilling zu sein. Obwohl wir uns nicht ähnlich waren, haben wir früher gleiche Kleider angezogen. In Amerika war sie dann eine Dame, schminkte sich, das ist nicht meine Sache, aber machte nichts aus. Leider hörten wir beide schlecht, das erschwerte das Telefonieren. Nun lebt auch sie nicht mehr. Ich bin häufig müde und möchte schlafen. Gartenarbeit geht längst nicht mehr. Das Sitzen reicht mir. Ich gehe schon wie eine alte „Babe“, aber ich trainiere das Laufen etwas. Ich habe Probleme mit dem Schlafen und einzelnen Medikamenten.

Manchmal fühle ich mich dem Sterben nahe. Ich möchte Lilien im Sarg, das war auch mein Brautstrauß. Ich möchte, dass mein Sarg geschlossen bleibt. Meinetwegen kann ich auch verbrannt werden, aber ich möchte nicht in ein „Kästchen“. Man braucht ein Grab, um mit dem Toten zu reden. Im Mittelpunkt des Gottesdienstes sollen nicht persönliche Daten, sondern die Bibel stehen; die Bibel lese ich jeden Tag. Nach dem Frühstück. Manches glaube ich, manches glaube ich nicht. Aber ohne Glaube und ohne Dank geht es nicht. ‚O boscha moei‘, kann ich da nur sagen, ‚o mein Gott‘ heißt das und ist das einzige, was ich manchmal auf Slowakisch sage. Die Kinder lachen dann. Die Kinder, das sind immer auch die Enkel und Urenkel, sie machen mich reich.“

Bauschendorf im Winter

 

Aufgeschrieben von Siegrid Krülle