Als unser Lehrer die Fastnacht vergaß, oder „Fastnacht feiern Katz und Maus“

Erzählt von Frau Gertrud Haug-Gibson, Aidlingen,

geboren in Falkenort, einem Dorf in Nordostpreußen

Wer erinnert sich nicht noch an Fastnacht in der Heimat? Man beging diesen Tag allerdings nicht mit großem Trara und Tschingderassabum, wie es oft in anderen Gegenden üblich ist, aber wir Kinder hatten an diesem Tag „schulfrei“, und das war schon viel Wert. Wir machten uns zwar wie an jedem Morgen auf den Weg zur Schule, aber unsere Tornister mit den Büchern versteckten wir dann; meistens ließen wir sie bei einem Nachbarn, in unserem Fall beim Dorfschmied, der in der Nähe der Schule wohnte. Das schönste an Fastnacht war jedoch, dass wir unseren Lehrer an diesem Tag einmal richtig auf den Arm nehmen konnten, denn wir Schüler hatten sozusagen „Narrenfreiheit“, und darauf freuten wir uns immer ganz besonders.

Wir hatten in jenem Jahr gerade einen neuen Lehrer bekommen, der abwechselnd auch in einem Nachbarort die Schulstunden abhielt und dort auch wohnte. Da die Wege um diese Jahreszeit oft noch zugeschneit oder auch matschig waren, kam der Lehrer stets mit Gummistiefeln zu uns ins Dorf. Im Hausflur unserer Schule hatte er trockene, blank geputzte Schuhe deponiert, damit er sich umziehen konnte. Die Jungens machten sich nun an diesem Morgen den Jux und stopften die Schuhe mit Papier aus, banden sie an den Schnürsenkeln zusammen und hängten sie oben an die Wand an einen Haken, fast unter die Decke. Nun wurde auch die Tür zum Klassenzimmer verbarrikadiert, es wurden Bänke von innen vorgeschoben. Inzwischen hatte ein Mädchen an die Wandtafel eine typische Fastnachtszeichnung gemalt und den passenden Spruch dazu geschrieben:

Fastnacht feiern Katz und Maus

Schuppnis gibt’s in jedem Haus.

Die Raben sind gekommen

Und haben uns die Bücher fortgenommen.

Darum bitten wir den Herrn Lehrer um Ferien bald,

sonst wird uns der Schuppnis kalt.“

Nun warteten wir mit Spannung, was der Lehrer weiter tun würde. Endlich kam er angestapft, öffnete die Haustür und suchte seine Schuhe. Dann hörten wir ihn schimpfen. Anscheinend hatte er nun die Schuhe oben an dem Haken an der Wand entdeckt. Die Jungen grinsten schadenfroh, auch wir Mädchen kicherten in uns hinein, bis das Schimpfen draußen immer bedrohlicher klang und uns allmählich etwas unheimlich vorkam. Aber noch glaubten wir, dass unser Lehrer nur Spaß machte (wie es auch sonst bei den anderen Lehrern immer gewesen war).Doch wir hatten diesmal die Rechnung ohne den Wirt gemacht, denn der Lehrer hatte ganz vergessen, dass an diesem Tag Fastnacht war. Er rumpelte also bös an der Tür und wollte ins Klassenzimmer hinein, aber zwei große, kräftige Jungen hielten den Türdrücker fest. Eine Weile ließen sie ihn noch zappeln, dann ließen sie die Klinke los. Die Tür ging auf, aber die Barrikaden hinderten den Lehrer daran einzutreten. Zu unserem Entsetzen schrie er wutentbrannt mit hochrotem Kopf: „Wer war das?“ Da sich natürlich niemand meldete und nur ein leises Kichern hier und dort zu hören war, rief er zornig: „Wenn sich niemand meldet, der sich diese Scherze erlaubt hat, werde ich die ganze Klasse bestrafen!“ Sicher konnte er es nicht begreifen, was plötzlich in seine sonst so friedlichen Schüler gefahren war.

Nun bekamen wir es aber doch allmählich mit der Angst zu tun. Sollte dieser Lehrer den ganzen Fastnachtsspaß nicht verstehen und mitmachen? Wir hatten dabei nicht bemerkt, dass er noch gar nicht zur Wandtafel hingesehen hatte. Schließlich deutete zögernd eines der Mädchen auf die Tafel und sagte: „Bei uns ist es zu Fastnacht Brauch, dass man dem Lehrer ein Schnippchen schlagen darf.“ Gespannt schauten nun viele Kinderaugen zum Lehrer hin – das Lachen war uns allerdings inzwischen längst vergangen! Wie würde er reagieren? Da erst schaute er zur Wandtafel und sah die Zeichnung mit dem Spruch. „Ach so, heute ist ja Fastnacht – das hatte ich ja völlig vergessen“, sagte er, und dann brach er schließlich doch in schallendes Gelächter aus Uns fiel dabei vielleicht ein Stein vom Herzen! Und erleichtert stimmten wir in das Lachen mit ein.

Der Tag verlief weiterhin wie alljährlich zur Fastnacht. Wir blieben noch einige Stunden in der Schule, brauchten aber nicht zu lernen (schließlich hatten uns „die Raben“ die Bücher ja fortgenommen!) Wir veranstalteten allerlei Spiele, sangen fröhliche Liede oder tollten auch manchmal draußen herum und tummelten uns bei Schneeballschlachten. So gegen elf Uhr entließ uns unser Lehrer mit den Worten: „Nun geht man nach Hause, damit euch der Schuppnis nicht kalt wird.“ Wir holten unsere Tornister wieder ab und liefen vergnügt heim, wo unsere Mutter inzwischen den Tisch gedeckt hatte.

Schon Anfang Februar wurde immer ein Schwein geschlachtet. Den Kopf des Schweins bewahrte man traditionsgemäß bis zur Fastnacht auf. Meistens kam dieser Schweinskopf – abgekocht natürlich – ganz auf den Tisch (vor allem, wenn eine Familie viele Köpfe zählte), und jeder konnte sich dann nach Belieben ein Stück davon abschneiden. Von dem Rest wurde Sülze gemacht. Mutters „Schuppnis“ schmeckte immer vorzüglich, und auch unserem Herrn Lehrer Drehmeier, der uns beinahe allen Spaß verdorben hätte, luden wir auf Anraten meiner Eltern dann noch zum Fastnachtsschmaus ein. Nachmittags zum Kaffee gab es die traditionellen Fastnachtskrapfen, die nicht fehlen durften und die besonders uns Kindern immer gut mundeten.

Wie schlicht haben wir damals gelebt – und doch: wieviel mehr Freude hatten wir in unserer unvergessenen Heimat an diesem Leben mit seinen wenigen Feststunden und –tagen. Wie gerne würde ich noch einmal eine solche Fastnacht in Falkenort erleben – und auch an die Schulzeit denkt man immer wieder gern zurück!