Weihnachtserinnerungen

Vom Kauflädle, den Ausstecherle und der Fahrt auf dem großen Bahnschlitten

 

Auf die Frage nach ihren Erinnerungen an Weihnachten zu Kinderzeiten überlegt Frau Ruth Mohr aus Dachtel, Jahrgang 1929 und 87 Jahre alt, keine Sekunde: „Gefreut hat man sich halt. Gefreut, dass man vom Christkindle was kriegt. Das war doch etwas ganz Besonderes. Das Christkindle war eigentlich meine Dote, meine Taufpatin, die Schwester meiner Mutter. Sie war auch die Dote meiner vier Jahre älteren Schwester und wohnte in Gärtringen. Unser Geschenk hat jedesmal unser ‚Milchbauer‘ mitgebracht. Der ist mit den Pferden mit der Milch der Dachtler Bauern nach Gärtringen zum Bahnhof gefahren. Unsere Dote konnte ihm daher die Geschenke mitgeben. Einmal, da war ich vielleicht 8 und meine ältere Schwester 12 Jahre alt, haben wir zusammen ein kleines Kauflädle gekriegt, so 40 – 50 cm breit, Schublädle hatte es und schee war’s. Mir ham Linsen und Weizenkörnle reingetan und was man so hatte. Es sind bald noch andere Kinder zum Spielen zu uns gekommen. Einmal haben wir auch jeder eine Puppe gekriegt. Die hat die Dote selber genäht. Sie hat einen Kopf gekauft und in den ausgestopften von ihr genähten Körper hineingesteckt und die Ränder darüber gezogen. Und die Kleider hat sie natürlich auch selber genäht.

Die Mutter hat Weihnachtsbrötle gebacken. Das gehörte dazu. Vor allem waren es Ausstecherle. Andere Leute haben z. B. auch Springerle gemacht, wir nicht. Wir lebten insgesamt sparsam. Denn wir hatten nur 4 ha, und der Vater war früh gestorben. Wir haben viel Brotsuppe und Haferbrei gegessen. Doch an Weihnachten gab es schon etwas Besseres. Am Hl. Abend aßen wir Kartoffelsalat und eine Wurst dazu, und am 1. Feiertag öfters einen Braten. Wir haben ja selbst geschlachtet.

Es gab früher meist viel Schnee um diese Zeit. Dann durften wir Kinder mit dem großen Bahnschlitten mitfahren, der der Gemeinde gehörte und den Weg nach Deufringen räumen musste. Er war vorn spitz und hinten breit, und vier Pferde zogen ihn. Die neue Straße gab es damals noch nicht. Der Schlitten musste das Käpfle rauf an der Stelle vorbei, wo heute die katholische Kirche steht. Wir Kinder haben dabei sehr gefroren. Wir hatten ja keine Hosen an, die selbergestrickten Strümpfe waren meist nicht lang genug und bissen auch oft. Schnell war unsere Haut am Oberschenkel ganz rot und blau angelaufen. Ich weiß noch, dass ich einmal richtig geheult habe deswegen.“

Kartoffelsalat und Würstle – das traditionelle Essen am Hl. Abend

Seit eh und je habe es bei ihnen am Hl. Abend Kartoffelsalat und Würstle gegeben, das sei bei vielen anderen im Ort auch so bis heute, erzählt eine Deufringerin, die es wissen muss, sie ist 96 Jahre alt. Am 1. Feiertag gab’s einen Braten, wenn wir geschlachtet hatten, sonst Geflügel, wir hatten weiße Enten auf dem Hof. „Einfach und schlicht ging’s ansonsten an Weihnachten zu. Wir waren fünf Kinder und hatten eine kleinere Landwirtschaft. Für Geschenke war da kein Geld da. Es hat gerade für was zum Anziehen gereicht. Die Mutter hat Socken gestrickt, das kann ich zum Glück bis heute auch noch machen. Die Mutter hat Schnitzbrot und große Hefebrezen gebacken. Ein Christbaum musste jedes Jahr sein, das war der Mutter wichtig. Da der Vater Mitarbeiter im Wald war, durfte er sich einen schlagen. Er wurde mit Lametta, Kugeln und Gebäck geschmückt. Später habe ich den Baumschmuck gerne immer etwas verändert, mir z. B. einmal lauter goldene Kugeln gekauft. Heute habe ich aber keinen Christbaum mehr. Ich bin dankbar, dass ich jeden Morgen das Bett leer machen, mich auch noch selber versorgen und sonntags bei gutem Wetter in die Kirche gehen kann. An Weihnachten gehörte natürlich immer auch der Kirchgang dazu.“

Familienfest, bei dem alle zusammenkamen

Weihnachten, das war bei uns immer ein reines Familienfest. Das ist heute so in meiner Familie und war früher so bei meinen und den Eltern meiner Frau.“ Othopädieschuhmachermeister Willy Gerlach, Jahrgang 1927, erläutert: „Ich hatte keine Geschwister, und meine Eltern starben schon relativ früh, meine Mutter mit 51, mein Vater mit 59. Meine in diesem Jahr verstorbene Frau, die aus der Gastwirtschaft ‚Zur Traube‘ stammte und eine geborene Reichert war, hatte dagegen vier Geschwister, noch eine Schwester, die spätere Wirtin vom Café Benz, und drei Brüder, von denen zwei im Krieg gefallen sind und der dritte, Alfred, der die Metzgerei übernommen hat. Die Mutter oder die Oma kochten, zur Kinderschar kamen noch die Onkel und Tanten dazu. Man feierte die Tage weitgehend gemeinsam. Das war das Schöne.

Für die meisten gehörte auch der Kirchgang zum Weihnachtsritual. Gottesdienst war am Hl. Abend und am 1. Feiertag vor- und auch nachmittags. Nicht wegzudenken war für einen jeden der Christbaum. Den kauften wir von der Gemeinde, die hat die Christbäume ausgeschlagen. Wer einen eigenen Wald hatte, konnte seinen Christbaum natürlich dort holen.“

Loblied auf die Dote

Es zeigt sich – ob man in den 20er-, 30er- oder 40er Jahren in Aidlingen, Deufringen oder Dachtel lebte, spielte keine Rolle. Wie das gesamte Umfeld war auch der Ablauf des Weihnachtsfestes überall ähnlich, vom Christbaum über die Kirche bis hin zum Kartoffelsalat mit Würstle. Was die damalige von der heutigen Zeit unterscheidet, ist vor allem die Bescheidenheit bei der Bescherung. Was nicht nötig war, kam auch nicht als Geschenk auf den Tisch, war ja oft auch für das Nötige das Geld knapp genug. Aber das war offenbar nicht allein entscheidend. Wie erzählte doch seinerzeit Elsa Wissmann aus Dachtel (1913-2013), geborene Breitling? Ihre Eltern gehörten zu den größeren Bauern im Ort, aber zu Weihnachten gab’s in erster Linie auch da Praktisches. Der Bruder hatte angesichts der mit zwei Klappen versehenen Unterhose enttäuscht ausgerufen: „A Unterhos isch doch koi Chrischtkindle!“ Nur wenn in der Familie jemand selber basteln oder schnitzen konnte, gab’s vielleicht ein Holzpferdle, erklärte sie. Und der Traum von der Puppe? Was bei Ruth Mohr die Dote aus Gärtringen war, war für die kleine Else die abenteuerlustige Tante, die Schwester des Vaters, die ins fremde Land gezogen war und ihr eine echte Pariser Puppe mitbrachte, die fortan zur ständigen Begleiterin wurde.

Siegrid Krülle