Matthias Groß auf den Spuren seines gefallenen Großvaters Karl Groß aus Lehenweiler – Reise nach Flandern 16.-18. Juni 2014 (Teil 2.2)
Das Kriegsmuseum von Ypern
Aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln werden im hervorragend gestalteten „In Flanders Fields Museum“ die vielschichtigen Aspekte der gesamten historischen Katastrophe des 1. Weltkriegs beleuchtet. Dieses Museum befindet sich in der originalgetreu rekonstruierten Lakenhalle (Tuchhalle) in Ypern. Benannt ist das Museum nach dem berühmten Gedicht von John McCrae „In flanders fields the poppies blow between the crosses, row on row…“ (Übers.: „Auf Flanders Feldern blüht der Mohn zwischen den Kreuzen, Reihe an Reihe…“). Ein Besuch bringt viele neue, interessante und erschütternde Erkenntnisse. Zudem befindet sich dort ein erstklassiges historisches Forschungsinstitut. Auch Privatpersonen können dort recherchieren oder Auskünfte zu Einzelschicksalen von Kriegsteilnehmern erhalten.
In diesem Informationszentrum gelang es mir unvermutet leicht, den Ort zu lokalisieren, an dem unser Großvater Karl am 16.Mai 1915, einen Tag nach seinem 34. Geburtstag, gestorben ist und exakt die Stelle nahe der „Bellewaarde Ferme“ zu finden, wo er, zusammen mit 6 weiteren Soldaten, beerdigt worden sein soll. Anhand von digitalisiert gespeicherten Luftaufnahmen von Ende Mai 1915 ließ sich gestochen scharf erkennen, dass die im Nachlass befindlichen Geländeskizzen ziemlich genau mit den wirklichen örtlichen Gegebenheiten (Bauernhof, Wäldchen, Teich, Weggabelung, etc.) übereinstimmen, die im Mai vor 99 Jahren bestanden.
Als weitere historische Quelle wurde zu meiner Verblüffung in kürzester Zeit ein altes deutsches Buch aus dem Archiv geholt. Aus dem Original „Das Württembergische Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 247 im Weltkrieg 1914 – 1918“ von Dr. August Herkenrath (erschienen 1923 in der Verlagsbuchhandlung Chr. Belser in Stuttgart!) wurden mir die Seiten kopiert, in denen detailliert die Kampfhandlungen der Einheit unseres Großvaters während der deutschen Offensive (sog. 2. Ypernschlacht) bei Bellewaarde von 13. bis 28. Mai 1915 geschildert werden. Dabei wurde von den Deutschen auch Giftgas eingesetzt (auf französich als „Yperit“ bezeichnet). Der Chemiker und spätere Nobelpreisträger! Fritz Haber hat es entwickelt, seine Frau Klara Immerwahr auch deswegen Selbstmord begangen, dies ist eine weitere aufwühlende Geschichte.
Es wäre schön gewesen, wenn unser Großvater unversehrt zu Frau und vier kleinen Jungs zurückgekehrt wäre, aber vielleicht war das unergründliche Schicksal unserem Großvater auch gnädig, dass er diese Hölle in Flandern nicht länger ertragen musste. An einem anderen Frontabschnitt wenige Kilometer entfernt, war übrigens ein gewisser Adolf Hitler im Einsatz, der leider zu den rund 85 % von Soldaten des deutschen Heeres gehörte, die den 1. Weltkrieg überlebt haben.
In der Forschungsstelle konnte ich außerdem mit ziemlicher Sicherheit in Erfahrung bringen, dass die sterblichen Überreste von Karl Groß später nicht auf einen der zahlreichen deutschen Soldatenfriedhöfe überführt wurden, sondern an der „Bellewaarde Ferme“ verblieben. Durch etliche Zusammenlegungen, sowohl nach dem 1. als auch nach dem 2. Weltkrieg, wurden die Gebeine der Gefallenen durch den „Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge“ zentralisiert bestattet und akribisch Buch über die ermittelbaren Identitäten geführt. Keine Baulanderschließung, keine Tiefbauarbeiten, kein Pflügen von Feldern im Umland von Ypern, ohne dass nicht noch nach hundert Jahren Überreste von Mensch, Material oder Munition aus der Erde geholt werden.
Heute existieren drei große deutsche Soldatenfriedhöfe in Flandern, unter anderem der bekannte sog. „Studentenfriedhof“ bei Langemarck, den ich auch besucht habe. Die anrührende Plastik „Trauerndes Elternpaar“ von Käthe Kollwitz steht auf einem dieser deutschen Soldatenfriedhöfe. Die Frauenfigur trägt ihre eigenen Züge, ihr Sohn Peter ist als Kriegsfreiwilliger in Flandern gefallen.
So war der Besuch von Flandern trotz der traurigen Thematik, die im Mittelpunkt des Interesses stand, eine schöne Reise mit vielen bleibenden Eindrücken und Erkenntnissen. Sie hat mich dem Großvater Karl so nahe gebracht, dass mir der 99-Jahre-Abstand nun eigentlich gering erscheint. Ich freue mich auf die weitere Beschäftigung mit seinen vielen erhaltenen Briefen und die „Übersetzung“ seines Kriegstagebuches. Mag sein, dass dieses Vorhaben erst in meinem Rentenalter realisiert werden kann.
Erinnern, verstehen und nachfühlen können macht Sinn. „Alte Geschichten“ sind es Wert, beachtet und für unsere Kinder erhalten zu werden.
Nie wieder Krieg!
Matthias Groß, Dettenhausen