Das Schulwesen in Lehenweiler – 250 Jahre klein, aber fein (Fortsetzung)
Die neue Schule und ein berühmtes Schulorchester
Als Lehenweiler Schule wurde das neue Gebäude in der Schulstraße von 1957 – 1973 genutzt. Es war ein damals moderner, auf eine Einklassenschule ausgerichteter Bau. Im Obergeschoss befanden sich ein großes teilbares Klassenzimmer, das Lehrerzimmer und ein Lehrmittelzimmer, im Erdgeschoss gab es einen größeren Mehrzweckraum, der vor allem als Turn- und Werkraum diente, dazu einen kleinen gut ausgestatteten Geräteraum, außerdem einen weiteren kleineren Raum, der die „Ortsbücherei“ beherbergte. Die Lehrerwohnung war in einem Anbau an das Schulgebäude untergebracht.
Erster Lehrer in der neuen Schule war Herr Marbod Schumacher, ein Donauschwabe, der viele Initiativen entfaltete und in seinen 16 Schülern das Interesse fürs Spiel mit ersten Instrumenten weckte. Zwei Jahre später trat sein Schwiegervater Michael Urschel, ein 70jähriger pensionierter Lehrer, auf den Plan, ein „musikalischer Tausendsassa“ (Dieter Essner), der erreichte, dass jedes Lehenweiler Kind ein oder mehrere Musikinstrumente spielte, neben der Flöte weitere Blasinstrumente, Geige, Akkordeon oder Schlagzeug. Er führte seine „Musikschule“ zu einem überregional anerkannten Jugendorchester, das 1961 auch im Rundfunk und Fernsehen präsentiert wurde. 27 Musikanten von 4 bis zu 17 Jahren in Uniform waren beim Gründungsfest des Orchestervereins im Jahr 1962 dabei. Eine ganze Reihe von ihnen kann man noch heute in Lehenweiler antreffen.
Der letzte Lehrer Dieter Essner und das Ende einer Einklassenschule
Herr Dieter Essner, heute in Calw-Wimberg lebend, war der letzte Lehrer in der Lehenweiler Schule und schildert seine Erfahrungen:
„Ich war ab 1964 in Lehenweiler und unterrichtete dort bis zur Schulaufhebung im Jahr 1973. Meine Vorgänger waren Herr Behnke, Herr Schumacher und das Jahr vor mir Herr Pfäffle. Ich kam aus Norddeutschland und hatte nach Besichtigung anderer kleinerer Schulen in Baden-Württemberg freie Wahl. Sie erinnerten an die Zeit des alten Dorfschulmeisters. Auch Schulrat Morlok in Böblingen bot ein halbes Dutzend offener Lehrerstellen an. Die schönste sei Lehenweiler, neu mit Lehrerwohnung nebenan, aber einklassig, meinte er. Ich hatte eine einklassige Schule schon als Student bzw. Praktikant im Norden im Kreis Diepholz erlebt und mich intensiv mit deren Besonderheiten beschäftigt. Ich war einverstanden.
Anfangs hatte ich alle acht Klassen und zusammen mit meinem Sohn 19 Schüler. Nach zwei Jahren gab es erste Veränderungen. Ab 1966 hatte Lehenweiler nur noch eine Grundschule, die Oberstufe wurde fortan in Aidlingen unterrichtet. Ich hatte in den Folgejahren trotzdem bis zu 40 Grundschüler zu unterrichten, mehr und mehr junge Familien waren zugezogen. 1973 kam die noch einschneidendere Veränderung. Die Klein-Schulen wurden per Gesetz ganz aufgelöst. Die Proteste der Eltern nützten nichts. Nach fast 10 Jahren in Lehenweiler fuhr ich nun wie die Kinder nach Aidlingen in die Schule, und zwar noch Jahre, bis 1991.
Die Zeit als Lehrer in Lehenweiler war eine meiner schönsten Zeiten. Es gibt Vorteile, wenn man der einzige Lehrer ist. Ich war mein eigener Herr. Erst nach 1 1/2 Jahren kam das erste Mal der Schulrat. Herr Morlok war sehr wohlwollend. Mit bestimmten Unterrichtsmethoden wird man den Schülern gerechter. Man muss verwandte Fächer, z. B. Deutsch, Heimatkunde und Musik, zusammenfassen oder ein Thema auf verschiedene Fächer auffächern, kann zum Teil auch zwei Klassen gemeinsam unterrichten. Wenn man alle acht Klassen zusammen hat, ist man auf die Mithilfe älterer oder begabter Schüler angewiesen, so dass Unterricht sogar gleichzeitig in mehreren Räumen möglich sein kann. In meinem ersten Lehenweiler Schuljahr konnte ich z. B. sehr auf die Mithilfe der beiden Schülerinnen Helga Schaufelberger und Rose Haug bauen.“
Die beiden Schulkameradinnen erinnern sich: „Wir hatten unsere Schulzeit im April 1957 noch in der alten Schule bei Lehrer Behnke begonnen. Wir hatten immer gute Lehrer, die sich mit der Einklassenschule identifiziert haben, so dass wir keine Nachteile hatten. Bei Lehrer Essner waren wir noch ein Jahr, ehe wir Ende März 1965 nach achtjähriger Schulzeit ausschieden. Die Schule hatte insgesamt 19 Schüler bei unserem Abschied. In unserer Klasse waren nur wir zwei Mädchen. Wir waren braver als die Buben. Lehrer Essner versuchte, uns so viel wie möglich an Wissen zu vermitteln. Wir haben ihn beim Unterricht mit den Unterklassen zu unterstützen versucht. Sein Unterricht war gut strukturiert. Während er sich mit den Jüngeren abgab, konnten die Älteren lesen oder rechnen. Es war eine gute Kommunikation untereinander. Wir haben gelernt selbständig und zugleich zusammen zu arbeiten, das war gemeinschaftsfördernd. Der Lehrer als Kopf geht voraus, so wird nachgelebt. Lehrer Essner hat viel mit uns gesungen. Der Morgen wurde mit einem Lied begonnen. Im Musikunterricht hatten alle die Möglichkeit, Flöte und Orffsche Instrumente zu lernen.“
Die Schule war früher der Mittelpunkt des kulturellen Lebens in einem Dorf. In dieser Tradition hat Lehrer Essner so manche Musik-, Theater- oder Zirkusaufführung mit den Kindern eingeübt und dazu die Eltern eingeladen. Die Natur, der Jahresablauf und der Venusberg wurden in das Zusammenleben mit den Schülern einbezogen. „Von uns gingen ursprünglich die Sonnwendfeiern auf dem Venusberg aus. Meine Erzählungen vom Sonnwendfeuer führten bei den Schülern zu dem Wunsch, selbst ein solches Feuer zu veranstalten. Ein Platz oberhalb der Steinbrüche wurde ausgewählt. Statt Hausaufgaben zu machen durften die Kinder zum Holzsammeln gehen. Wir haben Lieder gesungen und hatten ein kleines Feuer. Ich kannte das vom Jungvolk und die Lieder von der Jugendbewegung.
Meine Frau und ich hatten ein Theaterstück geschrieben, an dessen Ende das Holz von vier Seiten mit Fackeln angezündet wurde, das Ganze hatte allegorischen Charakter. Das ging bald verloren. Zunächst bot uns die Lehenweiler Feuerwehr ihre Hilfe an. Als ich das letzte Mal beteiligt war, mussten die Zuhörer schon zusammenrücken, weil die Feuerwehr nebenan Getränke verkaufte, um Geld einzunehmen. Laut war es auch. Als der Venusberg Naturschutzgebiet wurde, wanderte die Sonnwendveranstaltung nach Aidlingen und wurde vollends zu einer reinen Großveranstaltung der Feuerwehr. Die Veranstaltung hatte jetzt einen ganz anderen Charakter, wir hatten damit nichts mehr zu tun. Unverändert Spaß haben dagegen die Geländespiele auf dem Venusberg gemacht, die ich im Rahmen der Kinderferienbetreuung veranstaltete.
Lehrer Essner brachte seine Liebe zur Musik auch außerhalb der Schule ein. „Im alten Schulhaus, das ich nur noch als Dorfgemeinschaftshaus kannte, habe ich mit meinem Sing- und Musizierkreis oft Konzerte gegeben, v. a. an Weihnachten. Bis zu 16 Personen gehörten dazu. Frau Körte spielte Cello, Sohn Frank und Frau Lutz Cembalo, ich Gambe und Gitarre. Wir hatten einen vier- bis fünfstimmigen Chor in der Adventszeit und ein mehrfach besetztes Blockflötenquartett.
Zusammenfassend kann ich sagen, ich bin 40 Jahre sehr gerne Lehrer gewesen, ich würde es wieder machen.“
von Siegrid Krülle