Erlebnisse und Bilder aus dem Lehenweiler der 20er Jahre – Aufsätze des Schülers Otto Gotthilf Groß (geb. 1914), die er schrieb, als er 9 und 10 Jahre alt war

Ottos erste Hose

Der kleine Otto hatte die ersten Hosen bekommen. Stolz blickte er an sich hinab, indem er die dicken Füße unbeholfen bewegte. Er wollte zu seinem Onkel und diesem die große Freude auch ansagen. Aber als er die Schnalle, an welche er kaum hinauflangen konnte, aufmachte und in die Stube trat, zeigte ihm der weiße Spitzer die Zähne und biß ihn so in die Beine, daß er ein Loch in der Hose hatte. Mit einem lauten Aufschrei sank der Kleine in der Tante Schoß, welche ihn mit Trostwörtern überschüttete. Hinkend lief er heim. Unterwegs bedrohte ihn noch eine Gänseschar, welcher er aber noch glücklich davon kam. Ganz niedergeschlagen kam er bei der Mutter an, welche ihn nicht aufs freundlichste empfing. (Aufs. v. 6.2.1924)

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Beim Zahnarzt

Ich hatte mich einmal erkältet und bekam darum heftige Zahnschmerzen. Bei Nacht war mir das Schlafen unmöglich, und ich wälzte mich in meinem kleinen Gitterbettchen hin und her. Als es 6 Uhr schlug, fiel mir ein Stein vom Herzen, denn jetzt wurde es bald Tag. Am Morgenessen konnte ich aber keinen Bissen hinunterbringen, denn die Qual wurde immer ärger. So entschloß ich mich nun, zum Zahnarzt zu gehen, zu welchem mich meine Tante begleiten sollte. Bei diesem kamen wir in Weilderstadt niedergeschlagen an, und der gute Herr setzte mich auf einen Sessel, und schaute mir in den weit aufgespannten Mund. Dann hielt mir meine Tante den Kopf, und nach einigem unverständlichen Murmeln über die schlechten Zähne hatte er den Zahn herausgezogen. Er stellt mir ein mit Wasser gefülltes Glas hin, dann spülte ich meinen blutigen Mund aus. Nachher hatte ich einen großen Hunger und konnte fortan ungestört schlafen. (Aufs. v. 20.2.1924)

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Die Feuerwehr

Juhe! Morgen früh rückt die Feuerwehr aus“, sagten wir Kinder untereinander. Kaum konnte ich die Zeit erwarten. Am nächsten Tag erwachte ich schon bald. Schnell zog ich dann meine Werktagskleider an und sprang die Treppe hinab. Am Schulhaus waren schon die meisten versammelt. Und neugierige Kindergesichter umschwärmten sie. Jetzt war jedes Mitglied der Feuerwehr hier, dann wurde das Geräte von dem früheren Kohlenstall herausgeschleift, die Leiter herab gehängt und von denen getragen, die dazu berufen waren. Das Geräte war Standrohr, Schläuche und Hydrantenschlüssel. Bald war alles in Ordnung und der Hydrant wurde aufgemacht. Mit großem Druck stieg das Wasser in den Schläuchen in die Höhe. Oben auf der Leiter stand der Schlauchführer und spritzte uns lachende Kinder. (Aufs. v. 22.6.1923)

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Es wird gebacken

Juhu! Morgen wird gebacken. Welch eine Freude! Ich habe schon im Geist den guten Träubleskuchen im Mund. Aber halt! Es ist noch nicht so weit. Ich hole ja jetzt erst Hefe für 5 Pfennige, und daheim macht meine Dote erst den Teig. Allein bis morgen kann ich schon noch warten, denn wir backen gleich an der ersten Stelle (Anm.: im Backhaus). Da darf ich nur noch eine Nacht über schlafen, dann ist mein Kuchenhunger gestillt. Und der morgige Tag kam. Es war trübes, regnerisches Wetter. Das Backgeschirr wird ins Backhaus getragen und ein Höllenfeuer angezündet. Wenn das Holz abgebrannt ist, holt man die Kuchen und bäckt sie in Ruhe. Endlich kommen sie aus dem heißen Ofen, fein und frisch gebacken, heraus. Ah! Welch feiner Duft ist es, der aus der warmen Luft des Backofens herausströmt, und die Kuchen werden ins Haus getragen und bei allerhand Späßen verzehrt. Jetzt haben wir den Bauch recht voll mit Kuchen und Kaffee, und wenn man wieder schaffen soll, tut er uns heftig weh! (Aufs. v. 25.7.1924)

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Ein Tag im Heuen

Es war ein wunderschöner Tag, als wir ins Heu gingen. Fast keine Wolke konnte man am Himmel erblicken, und die Sonne brannte heiß. Alles war fröhlich über das prachtvolle Wetter. Im ganzen Tal sah man Leute. Auch wir waren drunten und verschüttelten die Rechenschöchlein, die wir den Tag vorher gemacht hatten. Als wir damit fertig waren, saßen wir in das Heu hinein und ließen uns das erquickende Vesper schmecken. Als der Hunger gestillt war, gingen wir an unsere andere Wiese und wendeten dort das Gras. Indessen kam der Mittag und wir gingen nach vollendeter Arbeit heim. Jetzt zeigten sich auch schon große Wolken am Himmel, die nichts Gutes andeuteten. Als wir dann gegessen hatten, gingen wir wieder ins Tal und machten Schochen (Anm.: = Haufen). Dann kamen wir um die Vesperzeit wieder heim u. ließen uns die Rettiche und das Brot schmecken. Nachher gingen wir in unseren Garten und machten dort auch Schochen. Als wir damit fertig waren, hatten wir auf der Wiese nichts mehr zu tun. (Aufs. v. 4.7.1924)

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Mein Lieblingsbaum

Der Herbst ist wieder da. Die Äpfel, Birnen u. Zwetschgen fangen an zu reifen. In meinem Gärtchen gibt es auch alle Sorten davon, und einer, der in der Mitte des Gartens steht, ist mein Lieblingsbaum, der Luikenäpfelbaum. Dieser hat schöne grüne Blätter, etwas rauhe Rinde und saftige rotbackige Äpfel. Es ist eine Lust, diese anzubeißen. Denn bald läuft einem der Saft zum Mund heraus. Das Aufleseobst von meinem Lieblingsbaum dauert mich fast gar zum Mosten. (Aufs. v. 7.9.1923)

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Obsternte

Der Sommer ist vergangen und die Getreideernte sitzt wohl geborgen in der Scheune. Jetzt hat der Herbst Platz, uns auch seinen reichen Segen zu bringen, dabei besonders das Obst. An den trüben Herbstmorgen, wenn sich der Nebel schon gelichtet hat und die Sonne ein wenig durch das dichte Gebälk bricht, sieht man die Kinder mit Säcklein oder Körben nach den Gärten wandern, frohgemut ein frisches Morgenlied pfeifend. Bald aber ist das Obst reif und blickt wunderschön rotbackig durch das grüne Blätterwerk des Baumes. Doch diese Zeit wird bald aufhören, denn eben kommt ein Bauer auf den Baum gestiegen und hat einen Sack umgehängt. Jetzt bricht er einen Apfel um den andern herab und lässt ihn in den Sack rollen, bis der Baum leer ist. Jetzt ist es vorbei mit der Pracht. Dann geht er herab, legt die Leiter an einen andern Baum und steigt hinauf. Dann umfasst er einen Ast und schüttelt. So leert er den ganzen Baum und den ganzen Garten. Ein leichter Wind weht und die Blätter wirbeln zur Erde nieder. Nur noch einmal kehrt die wunderbare herrliche Herbstpracht zurück, indem sie die zurückgebliebenen Blätter mit einer herrlichen Farbenpracht überzieht. (Aufs. v. 15.10.1924)