Die Familie Groß – das „steinige“ Leben einer Lehenweiler Bauernfamilie

Die Lehenweiler Dorfgeschichte ist von den Anfängen an mit dem Namen Groß verbunden. Der Ort war bekanntlich zwischen 1709 und 1730 als Kolonistenansiedlung für ausgediente Soldaten auf Aidlinger Markung gegründet worden. 226 Morgen Land waren gerodet, in 24 Lehenparzellen aufgeteilt und an die Ansiedler vergeben worden. Insbesondere wegen der ihnen für einige Jahre zugesicherten Abgabenfreiheit gab es häufigen Streit mit den Aidlingern. Die als arme Eindringlinge behandelten Kolonisten bestimmten daher seit 1718 aus ihrer Mitte einen „Anwalt“, der ihre Belange vertrat.
Auf einer im Gemeindearchiv Aidlingen befindlichen Karte von 1747 ist an der Hauptstraße in Lehenweiler das Anwesen „Groß Lorenz, Anwalt“ ausgewiesen. Die Familie Groß gehörte danach zu den ersten Ansiedlern, und frühzeitig war ein „Groß“ zu Ansehen unter den Siedlern gekommen. Auf Lorenz Groß geht auch der Familienstammbaum zurück, als Geburtsjahr ist 1711 und als Sterbejahr 1765 angegeben. Nachfolger auf dem Großschen Anwesen in Lehenweiler waren der Bauer Georg Friedrich Groß, geb. 1755, und ihm nachfolgend Josua Groß. Gottlob Groß (1846 – 1893) und seine Frau Regina, geb. Breitmeier, waren dann die Eltern von Karl Groß (1881 – 1915) und die Großeltern von unserem Mundartdichter Otto Gotthilf Groß (1914 – 1987).

Stammbaum der Familie Groß in Lehenweiler

Stammbaum der Familie Groß in Lehenweiler

Das Leben der ersten Ansiedler, die das Land mit primitiven Mitteln urbar machen mussten, war anstrengend und ärmlich. Aber der Boden und damit das Leben blieben auch weiterhin „steinig“, die Zahl der Kinder hoch. Die Großsche Familie unterschied sich in diesen Lebensbedingungen nicht von den übrigen Lehenweilern. Doch hatte sie seit der Generation von Gottlob und Regina Groß außergewöhnlich harte Schicksalschläge zu. bewältigen. Otto Gotthilf beschreibt in „Spot em Johr“ voller Verehrung, wie seine um 1850 geborene Großmutter ihr „hartes, an Mühe und Leid reiches Leben bejaht und gemeistert hat“:
Die Großmutter Regina, das „Regele“, hatte 15 Kinder geboren, zweimal darunter Zwillinge, von denen sechs schon im Säuglingsalter starben. Als das Jüngste gerade laufen konnte, starb 1893 der Großvater, der Ähne“, an einem „Brustleiden“, das ihn schon seit langem geschwächt hatte. Er hatte seine Arbeit nur mehr mit Hilfe seiner Frau geschafft. Kurz vor dem Tod des Ähne hatte ein Großbrand im Dorf ihr Anwesen zerstört, und die Großmutter stand nun mit neun Kindern und einem Berg von Schulden da. 15 Jahre später, sie war knapp 60, verlor sie obendrein noch einen Arm, denn durch einen Unfall beim Schneiden mit der Sichel hatte sie sich eine folgenschwere Blutvergiftung zugezogen.

Der Erste Weltkrieg brachte neues Unglück. Von ihren drei Söhnen Karl, Gottlob und Gotthilf, die sie dringend als Hilfe gebraucht hätte, verlor sie den mittleren schon ein Jahr vor dem Krieg. 1915 verlor sie den ältesten, Karl, der mit seiner jungen Familie auf dem elterlichen Hofe mitwirtschaftete, und 1916 den jüngsten. „Die Ahne hat dann den kurz aufeinanderfolgenden Kriegstod der beiden verbliebenen Söhne nur um ein paar Monate überlebt, und in denen habe sie sichtlich von Tag zu Tag abgenommen, aber trotzdem der Familie noch Trost zu spenden versucht.“ Karls Tod traf genauso seine Frau Marie, geb. Secker, und ihre vier gemeinsamen kleinen Söhne. Die vielen fürsorglichen und liebevollen Briefe, die er seiner Frau aus dem Krieg geschrieben hat, sind wie auch ein Kriegstagebuch noch erhalten. Sie starb 1918. Die vier verwaisten Buben wurden von drei ledigen Schwestern des Vaters auf dem elterlichen Hof aufgezogen. Es war ein selbstloser Einsatz dieser Frauen Sarah, Ernestine und Katharina Groß. Ernestine ist aus einem weiteren Grund hervorzuheben. Sie wurde Diakonisse und wirkte viele Jahre als erste Aidlinger Gemeindeschwester. Sie starb 1957. Der Hof, den seinerzeit Adolf, der älteste der vier Brüder, übernommen hatte, ging in den 60er Jahren nach
dem Tod der letzten Tante, dem „Kathrele“, in fremde Hände über.
Der jüngste der vier Brüder trat nicht nur als Lehrer und Poet in Erscheinung. „Mädle, machet Platz!“, schallte es von hinten, als zwei Mädchen nach dem Krieg auf geliehenen Fahrrädern einen Ausflug in Richtung Weil der Stadt wagten und eine Straße bergab fuhren. Der flotte Überholer war Otto Gotthilf, der von seiner Junglehrerstelle in Dettenhausen zu den Verwandten in Lehenweiler unterwegs war. Man kam ins Gespräch, und es zeigte sich, dass sein Interesse und seine Liebe nicht bei Lehenweiler, dem Heckengäu und Schwabenland endeten. Er heiratete eines der beiden Mädchen, Klari, ein Flüchtlingsmädle aus dem Hauerland (in der heutigen Slowakei), die diese Episode selbst erzählt hat.

von Siegrid Krülle