Aidlingens vergessene Schätze

Ab dem 24. März 2021 bringen wir eine 12 teilige Serie im Aidlinger Nachrichtenblatt, welche an die verborgenen und vergessenen Schätze der Gemeinde Aidlingen erinnert. Manche von ihnen sind uns durchaus bekannt und begegnen uns im Alltag, aber ihre Geschichte die sie uns erzählen, vielleicht nicht. Sie sind auch nicht immer einzigartig oder gar wertvoll, dennoch prägen sie die Gemeinde Aidlingen und ihr historisches Gedächtnis. Sie sind von stiller Bedeutung und verdienen es, von uns mehr geschätzt und wahrgenommen zu werden.

Teil 1 (24.März 2021)

Zwischen Obere Straße und Sonnenbergstraße sowie dem Seilergässle und dem Wagnergässle liegt versteckt hinter großen Neubauten auf einer Länge von ca 80 Metern die überdachte Seilerbahn der Seilereifamilie Gampper. Über 120 Jahre und 4 Generationen hinweg, wurden hier Hanfseile der Familie Gampper hergestellt. Den Anfang machte der Urgroßvater von Alfred Gampper (1919-1992), Johann Georg Gampper (1841-1920), der das Seilerhandwerk erlernte und schließlich mit dem Bau der Seilerbahn den Grundstein für weitere Generationen legte. Auf ihn folgte sein Sohn Karl Christian Gampper (1866-1816) und schließlich der Vater des letzten Seilermeisters, Karl Gampper (1887-1955) der den Beruf an seinen Sohn weiter gab.1964 konnte der Betrieb sein 100 jähriges Jubiläum feiern. Mit dem Tod des letzten Seilermeisters, wurde der Betrieb jedoch eingestellt. Übrig blieb noch die Seilerbahn, auch Reeperbahn genannt.

Dieses Bild hat ein leeres Alt-Attribut. Der Dateiname ist Aidlinger-Seilerei-1024x774.jpg

Im Denkmalbuch des Böblinger Landratsamtes aus den 1980igern Jahren steht folgendes:

„Die 1864 eingerichtete Seilerbahn zieht sich als schmale Holzlaube über Massiv-Sockel oberhalb von vier Parzellen der Oberen Straße hin. Die Anlage zur Herstellung von Seilen und Tauen aus Hanf ist noch betriebsfähig und fertigt die gewünschte Gebrauchsware noch auf Bestellung an. Diese nun mehr selten zu beobachtende Fertigungsweise veranschaulicht einen Teil Handwerksgeschichte im späten 19. Jahrhundert. Die Seltenheit und Intaktheit des Betriebes sind ausschlaggebend für das öffentliche Interesse an seiner Erhaltung aus heimatgeschichtlichen Gründen.“

Das Aidlinger Museum Hopfenhaus hat zwischenzeitlich viele Werkzeuge und Maschinen von der Familie Gampper erhalten und zeigt heute in verschiedenen Vorführungen den Besuchern, wie einst Seile und Taue in Aidlingen hergestellt wurden.

Die Seilerbahn selbst steht nun als stiller Zeuge eines einst wichtigen Handwerkberufes noch da. In Baden-Württemberg und sogar in Deutschland gibt es sie noch seltenst so gut erhalten zu sehen, wie hier in Aidlingen. Versteckt hinter Häuserzeilen ist es allemal Wert, die Seilerbahn wieder in den Fokus der Öffentlichkeit und in das Bewustsein der Bevölkerung, als einen historischen Schatz für die Geimeinde Aidlingen, zu rücken.

Teil 2 (31. März 2021)

Heute solle es um einen Schatz gehen, der vielleicht nicht gerade wertvoll ist, aber dennoch ein wahrer versteckter Zeitzeuge der Geschichte ist. Er versteckt sich in der Deufringer St.Veit Kirche. Selbst treue Kirchgänger und Liebhaber der Deufringer Kirche, wissen nicht um seine Existenz. Der Schatz versteckt sich im Treppenaufgang des Kirchturmes zum Glockenstuhl. Er ist nur erkennbar, wenn man sich auf die unterste Stufe der Holztreppe, welche an der Decke des Kreuzgewölbes des Chors endet, stellt und nach oben blickt. Dort als Treppenabsatz verbaut und mit dem Schild nach unten zeigend, verbirgt sich ein altes hölzernes Ziffernblatt. Ca. 1,50 m lang und 1,50 m breit mit schwarzen römischen Zahlen eingefasst in zwei schwarzen Kreisen. Der innere Kreis wird durch eine stilistische Sonne auf rotem Hintergrund ausgefüllt. Das Niveau der schwarzen Zahlen ist höher als der rest der Holztafel und lässt sie so plastischer wirken. Ein Loch im Mittelpunkt war für den Austritt des Metallstabs, der wiederum den Uhrzeiger in Gang setzte. Das Alter des hölzernen Kirchturm-Ziffernblattes ist leider nicht bekannt. Ist es mit der Anschaffung einer neuer Kirchturmuhr im Jahr 1785 ausgetauscht worden? Oder ist es bereits schon 1725, als der oberste Fachwerkstock des Turmes durch ein festes Mauerwerk ersetzt wurde, abgemacht worden?

Dieses Bild hat ein leeres Alt-Attribut. Der Dateiname ist HGVAidlingenBilderInternet-067-1024x768.jpg

Das Bildnis der Deufringer Kirche auf der Kieser’schen Forstkarte von 1688 zeigt bereits schon deutlich ein viereckiges Ziffernblatt. Das verbaute hölzerne Ziffernblatt mag kunsthistorisch kein großer Schatz sein, zeugt aber dennoch vom nachhaltigen Denken und Handeln einstiger Generationen. Nichts wurde einfach so weggeworfen! Selbst gebrauchtes Holz wurde wiederverwertet und kurzerhand zu einem Treppenabsatz umfunktioniert. Diesem Umstand verwandanken wir es, dass wir heute noch einen verborgenen und vergessenen Schatz entdecken und bewundern dürfen. Im Falle des alten Ziffernblattes in der Deufringer Kirche, würden wir uns als Heimatgeschichtsverein einen Ausbau und eine Restaurierung desselbigen erhoffen und wünschen. Was meinen Sie?

Die Gemeinde Aidlingen ist wohl eine der wenigen Gemeinden im Kreis Böblingen, die gleich mit zwei Heimtmuseen aufwarten kann. Während das Museum Hopfenhaus in Aidlingen hauptsächlich bäuerliche Gerätschaften ausstellt und die ostdeutsche Heimatstube der Vertriebenen beheimatet, enthält das Dachteler Heimtmuseum (unterhalten und betrieben durch den Schwarzwaldverein Dachtel) eine große Bandbreite von Alltagsgegenständen des dörflichen Lebens um die letzte Jahrhundertwende. Von landwirtschaftlichen Geräten, einer kompletten Wohnungseinrichtung, Handwerkergerätschaften, Feuerwehrgerätschaften bis hin zu einem Schulklassenzimmer und einer Amtsstube des Bürgermeisters. Eigentlich stellen die beiden Museen bereits schon einen großen historischen Schatz für die Gemeinde Aidlingen dar. Auf einen vergessenen Schatz ganz besonderer Art, möchten wir jedoch heute aufmerksam machen.

Teil 3 (7. April 2021)

Im Dachteler Heimatmuseum hängt im Bürgermeisterzimmer hinter einer Glasvitrine eine sogenannte Feuerfahne. Sie ist ca. 78 cm auf 58 cm groß und mit Ölfarbe auf Leinwand bemalt. Die eine Seite zeigt das herzogliche württembergische Wappen und die Initialen E.L.H.Z.W. (Eberhard Ludwig Herzog zu Württemberg). Auf der anderen Seite zeigt in einem blauen Oval ein großes D. Das Oval ist umrahmt mit zwei Lorbeerzweigen. Darüber steht die Inschrift 17Dachtel76. Die Fahne ist wohl in diesem Jahr entstanden. Sie war wahrscheinlich ein Vorläufer der späteren Feuerwehrfahnen und sollte bei einem Löscheinsatz in einem fremden Ort die Dachteler Rotte anzeigen und repräsentieren. Sie wurde auch bei anderen feierlichen Anlässen als „Gemeinde“-Fahne benutzt. Im Gegensatz zu unseren sind die noch vorhandenen Feuerfahnen in Württemberg bestickte Stofffahnen. Die eigentliche Rarität an der Feuerfahne ist jedoch die dazu gehörige Schutzhülle. Die Pappröhre ist mit Leinen überzogen und ebenfalls mit einem schönen Schriftzug versehen. Darauf zu lesen ist: Anno 1793 als Herr Johannes Weiß Schultheiß, und Hr. Jacob Braitling, Beck, Bürgermeister waren, ist diese Fahne gemacht worden durch J.G. Stügelmayer in Haslach.

Die Fahne und die dazugehörige Schutzhülle ist angesichts der Seltenheit in Baden-Württemberg ein wenig beachteter historischer Schatz, den das Museum hier in Dachtel beherbergt. Deshalb unser Tipp: besuchen Sie doch einmal das Dachteler Heimatmuseum. Es lohnt sich.

Teil 4 (14. April 2021)

Schon bald soll die Landstraße zwischen Aidlingen und Grafenau erneuert und verbreitert werden. Doch mit dem Umbau der Straße, könnte ein Teil eines für die Gemeinde Aidlingen bedeutendes und für die weite Umgebung einzigartiges historisch wertvolles Kulturdenkmal für immer zerstört werden !!!

In einer Zeit, als weder Stalldünger noch gar Kunstdünger zur Verfügung standen, waren es von menschenhand bewässerte Wiesen, die das Würmtal (und auch im Gechingertal von Deufringen) zu saftigen und ertragreichen Wiesen machte. Das mit Sediment und Abwässern angereicherte Bachwasser brachte die dringend benötigten Nährstoffe auf die Wiesen. Dabei half ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem. Flußaufwärts wurde Bachwasser in zwei eigens geschaffene Grabenkanäle eingeleitet, welche sich rechts und links des Würmtals hinab zogen. Mit leichtem Gefälle floß das Wasser talabwärts. Durch etlich eingebaute Stauwehre konnte das Wasser angestaut und die angrenzenden Wiesenregionen mit „natürlichem“ Flüssigdünger überschwemmen werden. Durch das Anlegen und Warten der Bewässerungsgräben entwickelte sich sogar ein eigener Berufszweig. 1775 wurden in einem Aidlinger Schriftstück Gottfried Wagner und Martin Burckert als Grabenmacher genannt. Durch die Düngung der Wiesen, konnten die Aidlinger Bauern mehr Gras und Heu ernten und sich somit auch eine bessere Nutzviehhaltung erlauben. Mit der größeren Viehhaltung stieg auch die Lebensqualität der Aidlinger Bürgerschaft.

Reste eines alten Stauwehrs, welches zur Bewässerung der Wiesen im Würmtal gebraucht wurde.
Reste eines alten Stauwehrs, welches zur Bewässerung der Wiesen im Würmtal gebraucht wurde.

Schon heute ist das für Aidlingen historische und das schon seit vielen Jahrhunderten bestehende Kulturdenkmal, durch Unwissenheit und Unverstand an vielen Stellen zerstört worden. So manche behauene Steinquader, von den einst angebrachten Wehren, sind herausgerissen und zweckentfremdet worden. Durch maschinelle Bewirtschaftung der Wiesen sind Seitengräben verschwunden. Nun ist durch den Neubau der Landstraße auch noch ein großer Teil des noch bestehenden Grabens (welcher sich genau unterhalb des Straßenverlaufes befindet) bedroht, für immer zu verschwinden. Der Heimatgeschichtsverein Aidlingen möchte über die kulturgeschichtliche bedeutende und für die Aidlinger Bürger einst so wichtigen Wiesenbewässerungsgräben im Würmtal aufmerksam machen. Sollte hier der Straßenbau die Gräben zerstören, wäre ein weiterer historischer Schatz für die Gemeinde Aidlingen für immer verloren gegangen.

Teil 5 (21. April 2021)

Heute möchten wir auf einen ganz besonderen Schatz aufmerksam machen. Er ist nicht historisch einzigartig und auch nicht künstlerisch herausragend, aber um so wertvoller für unsere naturverbundene Gemeinde: Die Silberdistel !

Die Silberdistel (botansich: Carlina Acaulis) ist für unsere Heckengäuregion und auch für die Gemeinde Aidlingen bezeichnend. Sie gehört der Gattung der Eberwurzen an. Die Silberdistel ist zwar über ganz Europa verbreitet, dennoch gehört sie vor allem in Deutschland zu den stark zurückgegangenen Pflanzenarten und ist deshalb gesetzlich geschützt. Sie bevorzugt sommerwarme und beweidete Magerrasen auf basenreichen Böden. Genau dieses bietet ihr unsere Heckengäulandschaft. In unseren schafbeweideten Landschaftsschutzgebieten wie dem Venusberg, dem Storrenberg in Dachtel oder dem Brunnenberg in Lehenweiler fühlt sie sich besonders wohl. Sie wurde zur Blume des Jahres 1997 gewählt.

Die Silberdistel ist ein Sinnbild für unsere wertvolle Natur und unsere unverwechselbare Landschaft unserer Gemarkung. Unsere Landschaftsschutzgebiete sind Zufluchtsorte für sie. Schauen Sie doch selbst einmal, ob Sie die Silberdistel auf einem ihrer nächsten Spaziergänge über unser Gemeindegebiet entdecken.

Teil 6 (28. April 2021)

Der heutige Schatz befindet sich in der Dachteler Kirche. Die Kirche wurde durch ein Feuer an Weihnachten 1766 völlig zerstört und in den Folgejahren wieder neu aufgebaut. Etwa 20 Jahre später wurde zur Ausgestaltung des Kirchenschiffes und zur Verschönerung der Emporenbrüstung dort 30 auf Holz gemalte und ca. 78cm hohe Ölbilder angebracht. Der zu dieser Zeit amtierende Dachteler Pfarrer und bekannte Theologe, Magister Philipp Heinrich Schuler, war ein ausgesprochener Freund von bildlicher Untermalung des evangelischen Predigtgottesdienstes. 14 Bilder zeigen die ersten zehn Artikel des Apostolischen Glaubensbekenntnises. Von der Schöpfung des Himmels und der Erde, über Geburt und Kreuzigung Christi, bis hin zur heiligen christlichen Kirche. 8 Bilder zeigen Geschichten aus dem alten Testament und 8 Bilder sind dem neuen Testament gewidmet. Der Künstler und Erschaffer dieser Bilder konnte bis heute leider nicht identifiert werden.

Bei der Innenrenovierung 1971 wären die Bilder jedoch fast dem Zeitgeist der 70ger Jahre zum Opfer gefallen. Die Kirche wurde damals völlig umgestaltet und verlor dabei sein barockes Aussehen. Allein dem Denkmalamt ist es zu verdanken, dass die Bilder nicht auch (sowie die Kirchenbänke und die hölzerne Empore) als Brennholz verarbeitet wurden. Über 40 Jahre lang hingen die Bilder dann an der Westwand über der neuen Empore. Bei der letzten Innenrenovierung 2005 sind die 14 Katechismusbilder wieder an die Emporenbrüstung angebracht und somit in einen räumlichen Mittelpunkt des Kirchenschiffes integriert worden. Die Bilder sind nicht nur ein Schatz, weil sie 1971 gerettet wurden, sondern sie zeugen auch eindrucksvoll davon, wie vorherigen Generationen anhand solcher Bilder die biblischen Geschichten und den christlichen Glauben näher gebracht wurde. Überzeugen Sie sich doch einmal selbst von der einfachen Schönheit und der klaren Botschaft der Bilder. Die Dachteler Kirche ist laut Homepage der Evangelischen Kirchengemeinde Deufringen/Dachtel täglich zwischen 9 und 17 Uhr frei zugänglich.

Teil 7 (5. Mai 2021)

Bei dem Schatz, um den es in dieser Woche geht, handelt es sich eigentlich nicht um einen einzigen, sondern gleich um eine ganze Sammlung an Schätzen. Bereits 1558 hat Herzog Christoph von Württemberg die Führung von Kirchenbüchern erlassen. In ihnen wurden Täuflinge (bzw. Neugeborene), Brautleute und Tote mit Namen, Ereignisdatum und verwandschaftlichen Beziehungen und sonstigen Umständen wie z.Bsp. Todesursache erfaßt. In allen Kirchengemeinden (Aidlingen, Deufringen und Dachtel) sind diese Bücher geführt worden. Durch diese Aufzeichnungen tauchen die vielen verstorbenen Menschen -unsere Vorfahren- vom Dunkeln des Vergessens in das Licht des Wissens auf. Durch sie sind diese Menschen trotz ihres Todes noch heute existent und für uns greifbar. Oft erzählen die Kirchenbücher auch über deren Berufe, Schicksale und andere historische Ereignisse, so daß wir uns heute noch ein Bild machen können, wie unsere Vorfahren hier in unseren Gemeinden gelebt haben.

ie Kirchenbücher wurden entweder in der Kirche oder im Pfarrhaus selbst aufbewahrt und vom jeweiligen amtierenden Pfarrer geführt. Es erscheint heute fast wie ein Wunder, daß durch die Wirren des 30jährigen Krieges, den großen Aidlinger Brand von 1704 und den beiden letzten zwei Weltkriegen alle unsere Kirchenbücher noch vorhanden sind. Über eine Spanne von 500 Jahre läßt sich so bis ins 16. Jahrhundert hinein, fast lückenlos eine Familienabstammung in unseren Gemeinden erstellen. Erst ab 1870 wurde die Aufgabe der Datenaufzeichnung vom Staat bzw. von der Gemeindeverwaltung übernommen. Heute sind die Kirchenbücher zentral und sicher im landeskirchlichen Archiv in Stuttgart verwahrt. Sie wurden verfilmt und über ein Online-Portal (www.archion.de) für Jedermann zugänglich gemacht. Bild: Uwe Schwarz

Teil 8 (12. Mai 2021)

Der heutige Schatz hat eine drei jahrhundertelange Reise hinter sich bis er wieder nach Aidlingen zurück gefunden hat. In der Aidlinger Nikolai Kirche hängt im Treppenaufgang zur Empore das Ölgemälde des einstigen Aidlinger Pfarrers Johann Jakob Schlotterbeck. Dieses wurde 2001 in einem Auktionskatalog des Auktionshauses Callies in Dornhan entdeckt und von der Gemeinde Aidlingen für 400 Mark erworben. Das Portrait wurde von einem unbekannten Maler 1702 (also in der Aidlinger Amtszeit des Pfarrers) gemalt und befand sich später im Besitz seiner zweiten Tochter und deren Nachfahren.

Johann Jakob Schlotterbeck ist als Sohn des Marbacher Spitalmeisters 1662 in Marbach geboren. Kam 1679 für ein theologisches Studium an die Universität Tüblingen, um anschließend von 1681-1683 im evangelischen Stift zu verbringen. 1689 erhielt er als Magister eine kleine Pfarrstelle im Schwarzwalddorf Wart. Anschließend trat er 1694 die Pfarrstelle in Aidlingen an. Hier versah er als angesehener Pfarrer bis zu seinem Tode am 27.1.1710 die Dienststelle. Johann Jakob Schlotterbeck war in einer Zeit in Aidlingen Pfarrer, als es den Ort durch eine verheerende Feuersbrunst schwer traf. Am Mittwoch Abend des 10. September 1704 brach im Stall der Furtmühle ein Feuer aus, welches sich binnen weniger Stunden auf den halben Flecken ausbreitete. Innerhalb von 4 Stunden waren 40 Häuser, 33 Scheunen und 14 Schweineställe ein Raub der Flammen geworden. Mit ihnen verbrannte auch noch die ganze Jahresernte. Welches unsägliche Leid und welche große Entbehrungen mußte er mit seinen Aidlinger Schäflein in jener Zeit wohl mittragen? Auch persönlich hatte er in der „Aidlinger“ Zeit Schicksale zu verkraften. Im Frühjahr des gleichen Jahres des großen Brandes von Aidlingen, verlor er nach einer Fehlgeburt seine Ehefrau.

Pfarrer Johann Jakob Schlotterbeck

Wenn man vor dem Bildnis steht und still das ernst wirkende Gesicht des Pfarrers betrachtet, so kann man beinahe seine Stimme hören, die von den bewegenden Erlebnissen in Aidlingen erzählt. Schauen Sie sich doch einmal selbst das Portrait in der Kirche an und lauschen den Erzählungen des Pfarrers Schlotterbeck.

Teil 9 (19. Mai 2021)

In der Deufringer St. Veit Kirche hängt auf der vorderen nördlichen Wandseite eine ca. zwei Quadratmeter große mit Ölfarben bemalte Holztafel. Auf dem Bild ist der Ort Deufringen, eingerahmt mit zwei aufgemalten Säulen, aus südlicher Richtung (vom Eckberg her) zu sehen. Kirche, Schloß und einzelne Häuser sind deutlich zu erkennen. Über dem Ort ragt die Anhöhe des Tauschfeldes und des Hards. Darüber erstrahlt links die Sonne mit ihrem Gesicht und rechts davon drängen sich dicke graue Wolken zu einem Unwetter zusammen. Deutlich sind Striche aus den Wolken zu erkennen, die gen Erde gehen und ein unheilvolles Abladen der Hagelwolken darstellen.

Eingerahmt von der ganzen Szene wird das Bild von zwei oben und unten befindlichen Schriftzügen, wobei der untere Teil durch eine fehlende Holzleiste unvollständig ist.

Das „Hagelbild“ in der Deufringer St. Veit Kirche

Unten steht geschrieben: „So unvergesslich jedem unserer Gemeinde die Begebenheit der Schauer vollen Nacht vom 1. Juni 1811 u.(und) der darauffolgende Pfingsttag seyn muß, über Anblick der, vor der Heimsuchung in die Augen fallenden Seegens, so ganz beraubt zu seyn, zu welchem Ende der große Theil unserer Mitbrüder und Mitschwestern mit einem …(Ab hier leider nicht mehr lesbar. Das Bild wurde einst abgesägt, da es nicht ganz unter den vorherigen Standord der Westempore passte.)

Die Holztafel erinnert die Nachwelt an einen verheerenden Hagelschlag, der am Vorabend des Pfingstfestes im Jahre 1811 über den Ort Deufringen und seiner Gemarkung zwischen 20 und 21 Uhr niederging. Mit fürchterlichem Sturm und hühnereigroßen Hagelkörnern wurde fast die ganze heranwachsende Ernte vernichtete. Die schnell wieder eingesäten Feldfrüchte wuchsen im Laufe des überdurchschnittlich guten Sommers so prächtig heran, daß im Herbst eine doch noch gute Ernte in die Scheunen und Häuser eingefahren werden konnte. Aus Dankbarkeit und Ehrfurcht  und als Mahnmal über die Herrschaft und Gnade Gottes, wurde im Ort Geld gesammelt, um das Hagelbild für spätere Generationen stiften zu können.

Das Deufringer Hagelbild ist eine kunsthistorische Schatz der besonderen Art. Nicht nur, daß es den Ort fast originalgetreu wiedergibt (die Fotografie wurde erst 1826 erfunden und die erste Fotografie von Deufringen dürfte erst so um das Jahr 1900 entstanden sein), sondern es erzählt uns auch von den Ängsten und Nöten der Menschen durch eine Naturgewalten und dokumentiert nebenbei die Wetterverhältnisse des Jahres 1811 für unsere Gegend.

Teil 10 (26. Mai 2021)

Wasser ist die Grundlage allen Lebens. Da wo Wasser ist, ist auch Leben. Nicht ohne Grund siedelten sich unsere Vorfahren in den Tälern der Aid, Aisch und der Irm an. Garantierten diese doch steten Zulauf an ausreichend Wasser für Mensch und Tier. Aber nicht nur die Aid und ihre Urbäche garantierten die Sicherung an frischem Wasser, sondern auch die vielen Quellen auf der Gemarkung. Zudem wurde auch das nahe Grundwasser über Brunnen für die Dorfbewohner erschlossen. Allein für Aidlingen sind 25 Brunnen nachgewiesen. Während Dachtel 8 Brunnen hatte, waren es in Lehenweiler nur 2 Stück (für Deufringen gibt es leider keine genauen Angaben). Das Beschaffen von Wasser an den Zieh-, Pump- und Laufbrunnen war eine unbequeme und strapaziöse Arbeit. Eine Erleichterung brachten da die häuslichen Wasserleitungen. Ab 1910 wurden die Aidlinger und Deufringer Haushalte an eine Wasserleitung angeschlossen. Dachtel war im Jahr 1911 dran. Lehenweiler erhielt erst 1922/23 eine Wasserversorgung über eine Leitung.

Wege und Flurnamen wie Brunnenweg (heute Irmweg in Deufringen), Bronnäcker und Bronnhalde, Brunnenberg (Lehenweiler) und die Brunnengasse in Aidlingen weisen noch heute an die Existenz von Brunnen und Quellen hin.

Zur Sicherung einer künftig außreichenden Wasserversorgung für die wachsende Gemeinde Aidlingen und ihren Teilorten, wurde ab dem Jahr 1992 mit dem Bau eines neuen Wasserwerkes begonnen. Zudem wurden eine neue Wasserfassung, Hochbehälter und Verbindungsleitungen gebaut. Die Fertigstellung und offizielle Übergabe des Wasserwerkes im Gewann Rot erfolgte im Mai 1995. Um der drohenden Verkalkung der Wasserleitungen und privaten Haushaltsgeräten entgegen zu wirken, wurde dem Wasserwerk 2010 noch eine zentrale Trinkwasserenthärtungsanlage hinzugefügt. Die Gemeinde Aidlingen ist heute im Kreis Böblingen eine der wenigen Gemeinden, die ohne fremde Wasserzuführung sich mit sauberem Wasser versorgt.

Quellfassung im Gärtringer Tal

Im Vergleich zu vergangenen Generationen haben wir es heute überaus bequem. Wir brauchen nur den Hahn auf zu drehen und wir haben gutes und sauberes Wasser direkt in unseren Wohnungen und Häusern.

Ausreichendes und sauberes Wasser ist ein hohes Gut und ein großer Schatz, den es zu hüten gilt. Angesichts des drohenden Klimawandels und der immer trockener werdenden Jahre, ist es um so bedeutender und wichtiger, eine funktionierende und gute Wasserversorgung zu haben.

Teil 11 (2. Juni 2021)

Die Gemeinde Aidlingen ist einer der wenigen Gemeinden im Kreis Böblingen, die gleich mit zwei Heimatmuseen aufwarten kann. Das Heimatmuseum in Dachtel und das Museum Hopfenhaus in Aidlingen. Das Hopfenhaus an sich ist bereits schon ein besonderer Schatz, denn es gibt in ganz Deutschland nur noch wenig erhaltene Häuser, die einst zur Trocknung und Lagerung von Hopfen dienten. Das Innere des Museum birgt jedoch noch eine andere bemerkenswerte Besonderheit. Während Paterre, Erd- und Dachgeschoss hauptsächlich landwirtschaftliche Gerätschaften beherbergt, ist der 2 Stock ganz den Herkunftsgebieten der Heimatvertriebenen nach dem 2.Weltkrieg gewidmet. Die ostdeutsche Heimatstube ist gefüllt mit Erinnerungsstücken und Kulturgütern der Flüchtlinge und Vertriebenen aus den verschiedenen ehemaligen deutschen Siedlungsgebieten im Osten. Ein Teil der Heimatstube birgt zudem noch eine “kleine“ Bibliothek. Die Bücher- und Schriftensammlung über die ostdeutsche Bevölkerung, ihrer Kultur und Vertreibung, ist das geschichtlich-historisches Gedachtnis der Heimatvertriebenen. Sie erschließt sich erst beim genaueren Hinschauen als einen wahren Schatz. Sie ist in sechs Schränken untergebracht und umfasst mehrere hundert Bände. Der größte Teil wurde vom baden-württembergischen Innenministerum gestiftet während ein kleiner Teil aus Privatbesitz stammt.

Die Bücher und Schriften sind in Gruppen nach landsmannschaftlichen Gesichtspunkten geordnet. Sie reichen von Sachbüchern mit allgemeinen Themen, der Belletristik, bis hin zu Heimatbüchern der deutschen Ostgebieten, der Sudetenländer, der Sprachinseln in der Slowakei, Ungarn, Jugoslawien, Rumänien und dem Russland. Während viele andere Heimatbüchereien sich eher auf eine bestimmte Region konzentriert, bezieht diese alle Vertreibungsgebiete ein. Freilich gibt es auf Bundes- und Landesebene große Bibliotheken über dieses Thema, aber Aidlingen und seine Bürger haben solch eine umfangreiche Sammlung direkt vor der Haustür und in der eigenen Gemeinde. Angesichts seiner Größe und Vielfalt wird dieser Schatz, so finden wir, viel zu wenig gewürdigt und bewundert. Da die Bücher und Schriften selten sind und ihre Wiederbeschaffung meist nicht möglich ist, können sie lediglich im Museum eingesehen werden. Deshalb nehmen Sie die Gelegenheit wahr und besuchen Sie die ostdeutsche Heimatstube mit seiner bedeutenden Bibliotek, wenn die Pforten des Heimatmuseums Hopfenhaus wieder geöffnet sind.

Teil 12 (9. Juni 2021)

Könnte der heutige Schatz aus seiner erlebten Vergangenheit und der Geschichte von Aidlingen berichten, so würde er bestimmt viele Bücher füllen. Es geht um die Glocke von 1552 auf dem Aidlinger Kirchturm der evangelischen Nikolai Kirche. Sie ist zwar nicht ganz die älteste Glocke (diese ist aus dem Jahr 1497) aber dafür die Größte und vom Klang her die Tiefste. Sie wurde von der Glockengießerei Keßler in Stuttgart angefertigt. Als Inschrift trägt sie: ANNA IOSANNA HAIS ICH VS DEM FURER FLOS ICH FRIEDRICH KESLER VON STVOGARTEN GOS MICH (in neudeutsch: Anna Iosanna(=Hosanna=Jubelruf) heis ich, aus dem Furer (=Gusskanal) floß ich, Friedrich Keßler von Stuttgart goss mich)

Die Glocke von 1552 in Aidlingen

Jeden Tag hören wir sie. Jeden Tag teilt sie uns die Zeit mit oder stimmt uns bei Feiertagen auf eine festliche Stimmung ein. Manchen begleitet sie auf den letzten Weg des irdischen Lebens. Dabei ist es fast wie ein Wunder, daß es sie heute noch gibt. Im 2. Weltkrieg (und auch schon im 1. Weltkrieg) wurden viele Glocken von den deutschen Glockentürmen abgenommen und als Rohmaterial für Kriegswaffen eingeschmolzen. Auch unserer Keßler-Glocke war dieses Schicksal vorbestimmt. Trotz verschiedenen Einwänden an die Reichsregierung, mußte sie abgeliefert werden. Bereits am 18. März 1942, beim Abseilen der Glocke aus dem Kirchturm, hätte ihr Ende bedeuten können. Das Drahtseil an der Glocke riß und sie sauste mit voller Wucht in die Tiefe. Dabei zerschlug sie das Kirchendach und kam im Kirchenflur zum Liegen. Sie war heil geblieben, doch ihr Weg ging weiter in das Ungewisse. Es erscheint fast wie ein Wunder, daß sie nach Kriegsende 1947 von dem Aidlinger Journalisten G.Fritz Schneider durch Zufall auf einem westfälischen Glockenfriedhof (=Glockensammelplatz) erkannt wurde. Mit Hilfe der damaligen Besatzungsmächte und der Kirchenleitung gelang es schließlich, daß sie auf Weihnachten 1947 an die Aidlinger Kirchengemeinde zurückgegeben werden konnte. Mit ihrem tiefen und warmen Klang, läßt sie bei manchem Heimatgefühle aufkommen. Aufgrund ihres bewegten Schicksals, läßt sie für den Ort Aidlingen zu einem wahren Schatz in luftiger Höhe werden.